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*Migrationsdiskurs im Kurz- und Dokumentar*film Peter von Guntens They teach us how to be happy und Pepe Danquarts Schwarzfahrer
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1 *Fremde im Film als Medium des *Migrationsdiskurses 2 Peter von Guntens They teach us how to be happy 3 Pepe Danquarts Schwarzfahrer 3.1 Handlungsstruktur 3.2 Kameraführung 3.3 Farbregie und Tonspur 3.4 Dialogregie 3.5 *Witz und Widerstand 4 Diskriminierung im *Diskurs der Medien 5 Literaturhinweise |
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1 Fremde im Film als Medium des Migrationsdiskurses
"Fremde im Film" sind der Normalfall und vielleicht nicht weiter der Rede wert. "Fremde" war und ist Thema und Objekt der Filmgeschichte seit ihren Anfängen als Exotisches, Folkloristisches, Sozialkritisches, als Klischee und Kolorit. Darum, versteht sich, geht es hier nicht. Die Darstellung des Alltags in unseren westlich-postindustriellen Gesellschaften als ein anderes Medium des Migrationsdiskurses indes hat bislang kaum das Interesse der kritischen Diskursanalyse geweckt. (1) Dabei schwillt das Corpus an, auf das sich dieses Interesse richten könnte: *Spiel*filme, Kurz- und Dokumentarfilme als Reflex der öffentlichen Debatte über die Migrationsprobleme in multikulturellen Gesellschaften, in denen ethnische Minderheiten von den Medien vornehmlich als soziales Problem einprägsam ins Bild gerückt zu werden pflegen, das dann einer xenophobischen vox populi als Beleg und Abbild einer Realität dient, die mit eigenen Alltagserfahrungen kaum auszustatten wäre.
In *Hollywood wurde T. Coraghessan Boyles politisch korrekter Bestseller The Tortilla Curtain (dt. América) aufwendig verfilmt als Parabel über die Migranten aus Mexiko. Von illegalen Immigranten handelt auch der Film "Brothers in Trouble", in dem der in England aufgewachsene Inder Udayan Prasad den konfliktträchtigen Alltag in Londoner Quartieren zeigt, in denen die Einwanderer vom indisch-pakistanischen Subkontinent schon die Mehrheit der Bevölkerung stellen. "Harte Unterhaltung" nach Art der Briten ("Mein wunderbarer Waschsalon") wollen auch die jungen deutsch-türkischen Filmemacher wie Neco Çelik bieten, der neben seinem Job als Sozialarbeiter im *Berliner Jugendtreff Naunynritze einen Film für den WDR dreht. Alltag der Berlin-Türken ist das Thema der Filme von Thomas Arslan ("Dealer") oder Yüksel Yavuz ("Aprilkinder"). (2) Der Regisseur Kutlug Ataman, der nach etlichen Jahren in Berlin, aber auch in Paris und Los Angeles, heute wieder in Istanbul arbeitet, bietet mit seinem Film "Lola und Bilidikid" eine multikulturelle Mixtur aus türkischem Melodram, deutscher *Familiengeschichte und *amerikanischem Thriller, aber auch die anrührende Liebesgeschichte zweier Männer im Kiez: Lola, Türke und Transvestit und Star der nächtlichen Show, verdreht dem 17jährigen Murat den Kopf Verwirrung der Gefühle.
Das Thema scheint seit kurzem bei Filmemachern und Medienleuten, aber auch bei einem Teil des Publikums, auf so lebhaftes Interesse zu stoßen, daß das Amsterdamer Dokumentarfilm-Festival ihm mit einer eigenen neuen Reihe unter dem Titel "Global Motion" ein vielbeachtetes Forum bietet für Filme über Flüchtlinge, Migranten, Asylanten. (3) Im österreichischen Linz haben Sabine Derflinger und Bernhard Pötscher ihren Dokumentarfilm "Achtung Staatsgrenze!" in einem Abschiebungsgefängnis gedreht. Maurizio Zaccaro schildert in seinem Film "Articolo 2" die vergeblichen Versuche des Algeriers Mohamed, seine "zweite" Familie bei sich in Italien aufzunehmen, in der sein Status freilich als Bigamie verfolgt wird. Der Film "Winterblume" des in Köln lebenden Kadir Sözen beschreibt in eindringlichen *Bildern den illegalen Versuch eines abgeschobenen Türken, zu seiner Familie zurückzukehren. Mehmet Umut erfriert im *Schnee eines *Alpenpasses, während das Gericht das Urteil fällt, seine Rückkehr doch noch zu erlauben. Meist aber steht am Ende des Verfahrens, nach Jahren zermürbenden Wartens unter Fremden in Asylunterkünften, mit fremder Kost und bei strengem Arbeitsverbot, die Abschiebung, die in Österreich 'Schubhaft' heißt und in der Schweiz 'Ausschaffung'.
2 Peter von Guntens They teach us how to be happy
Reden wir über die Fremden im Lande. Mit ihnen zu reden ist ungleich anstrengender. Der in der Schweiz durchaus umstrittene, dafür mehrfach (z.B. 1996 in Locarno oder 1997 in Berlin) ausgezeichnete Film "They Teach Us How to be Happy" des Berner Filmemachers Peter von Gunten dokumentiert dies mit fast enervierender Geduld: Reden mit Fremden, die bei der Einreise in die Schweiz Antrag auf Asyl stellen; Gespräche bei ihrer Ankunft in der Fremde, Verhöre eher, amtliche Befragungen über ihre Motive mit dem Ziel herauszufinden, wer von denen, die da Einlaß begehren aus mannigfachen Gründen, möglicherweise kein Recht auf Asyl haben könnte, nicht etwa, wer es habe nach Recht und Gesetz. Die Behörde hat Zeit. Die Befragungen drehen zäh sich im Kreise, das behördliche Mißtrauen spießt sprachliche Undeutlichkeiten auf, zerlegt Unbeholfenheiten des Ausdrucks, hakt nach, immer höflich, fragt kulturelles Wissen ab, übersetzt das individuelle Anliegen, bis es ins Raster des Amtes paßt, sucht mit allerlei juristischen Spitzfindigkeiten und fachsprachlichen Wortklaubereien, mit jähen Rück- und Fangfragen die vielleicht weichen Stellen der Argumentation des Antragstellers aufzuspüren.
Hier sind es koptische Christen aus dem fundamental-islamischen Sudan, deren Glaubensnuancen die christlich-katholische Beamtin in der engen Amtsstube in Chiasso verwirren. Heilig Abend nicht am 24. Dezember? Ach was. Und das wollen Christen sein? Ihres Glaubens wegen verfolgt? Die Beamtin bleibt korrekt und macht sich Notizen. Zeichen der Ungeduld übersieht sie, sie kennt ihre Vorschriften. Das Verfahren folgt präzis den Regeln des Gesetzes. Moral? Wie, wenn Gesetz und Moral divergierten? Was hätte Vorrang? Moralische Einsicht oder politisches Gebot? Recht contra Gerechtigkeit? Der seinerzeitige Berner Rabbiner Marcel Marcus stellt die Frage im Film mit eindringlicher Sachlichkeit. Seine Antwort: "Wenn Moral und Recht auseinanderklaffen, dann muss die moralische Erkenntnis der Politik eben neue Ziele setzen." (4) In der nächsten Sequenz führt der Beamte einer anderen Dienststelle vor, wie die Befragungen durch technische Kontrolle effektiviert werden. In nur zwei Minuten, erläutert er stolz, könne der Ausländer durch Rechnerabgleich mit einer Zentraldatei von über 480 000 Fingerabdrücken zielgenau identifiziert werden. Und weiter mit den Befragungen, nach immer demselben Muster. In quälender Ausführlichkeit werden sie filmisch aufgezeichnet, ohne hektische Schnitte, ohne furiose Kamerafahrten; der Langsamkeit der Einstellungen entspricht die Langsamkeit des Verfahrens. Das genaue Hinsehen, zu dem der Film zwingt bis an die Grenze des Erträglichen, wird hier wie von selbst zum sarkastischen Kommentar: die Beamten sind auch nur Menschen, aber Vorschrift ist Vorschrift; sie meinen's doch nur gut mit den Ausländern, die froh sein sollen und dankbar, stattdessen machen sie Probleme und kosten Steuergelder. Der koptische Christ aus dem Sudan begreift den Zweck der unsäglichen Prozedur mit traurig-hintergründigem Lächeln: "They teach us how to be happy." (5)
3 Pepe Danquarts Schwarzfahrer
3.1 Handlungsstruktur
In krassem Gegensatz zum langen, überlangen, bernisch-langsam inszenierten Dokumentarfilm Peter von Guntens mit seinen zähen, drögen Dialogen setzt Pepe Danquart 1993 das Thema in seinem Berliner Kurzfilm "Schwarzfahrer" ins Bild. Der Schwarz-Weiß-Film ist ganze 12 Minuten lang und kommt fast ohne Dialoge aus. Auch er gewann zahlreiche internationale Auszeichnungen (wie etwa 1993 den American Academy Award's Oscar for the Best Live Action Short Film, um nur einen stellvertretend zu nennen). Er soll im folgenden einer genaueren Analyse unterzogen werden, vor allem im Hinblick auf die Strukturmomente der Kamerabewegungen und -perspektiven, der Hell-/Dunkel-Kontraste, der Dialogführung, der Figurenkonstellation. (6)
Die Handlungsstruktur ist, auf den ersten Blick, denkbar einfach. Ein junger Mann mit schwarzer Hautfarbe unterhält sich mit seinem weißen *Freund an einer Straßenbahnhaltestelle. Als die Straßenbahn einbiegt, verabschieden sie sich, der junge Schwarze steigt ein und fragt eine ältere weiße Frau, ob der leere Sitz neben ihr frei sei. Sie mustert ihn von oben bis unten und schweigt. Er setzt sich neben sie, sieht aus dem Fenster, ißt Nüsse, während die Frau in eine Suada rassistisch-xenophober Bemerkungen ausbricht. Die anderen Passagiere im Straßenbahnwagen bleiben davon scheinbar unberührt und fahren darin fort, wie unbeteiligt vor sich hin zu schauen. Eine Ausnahme bildet kurz ein junger Türke, der (auf Türkisch) Widerworte gibt, aber schnell von seinem Landsmann beruhigt und zum Schweigen gebracht wird.
An der nächsten Haltestelle betritt ein Kontrolleur den Wagen und überprüft die Fahrscheine. Die Frau kramt ihren Fahrschein hervor, während sie weiter halblaut vor sich hinschimpft. Plötzlich langt der Schwarze kurz hinüber, greift sich ihren Fahrschein und ißt ihn auf. Als der Kontrolleur sie nach ihrem Fahrschein fragt, stammelt sie entgeistert die Geschichte, die ihr der Kontrolleur nicht glaubt und sie wegen 'Schwarzfahrens' aus der Bahn weist. Die anderen Fahrgäste bleiben bei dem ganzen Vorgang genauso unbeteiligt wie vorher bei der Schimpfkanonade der Frau. Durch den kleinen Überraschungscoup des Schwarzen (= des Ausländers?) scheint die Balance im Mikrokosmos des Bahnabteils wieder im Lot, die Bahn fährt weiter, die Frau steht auf der Straße im Disput mit dem Beamten und versteht die Welt nicht mehr.
3.2 Kameraführung
Anders als Peter von Gunten mit seinen langen Einstellungen und, wenn überhaupt, ruhigen Kamerafahrten, kreiert Pepe Danquart den Eindruck dauernder Bewegung durch die schnellen Schnittfolgen der Montage. Alles ist in Bewegung: die Bahnen, Rolltreppen, Autos, Leute Großstadt-Hektik. Wenn das Auge der Kamera einmal still auf der Szene ruht, dann kreuzen andere Bahnen das Bild, huschen Häuser und Laternen vorbei beim Blick aus dem Fenster der fahrenden Bahn. All dies suggeriert: eine Gesellschaft in Bewegung, im Übergang und ohne Ruhe, ein Leben im beschleunigten Rhythmus der *Metropole, ein dynamisches Gegenbild zugleich zur konservierenden *Phantasie einer beschaulichen Idylle des Landlebens, das statisch in sich selber ruht und nicht bedroht wird durch Wandel und Hast und Fremdes und immer Neues und Unbekanntes.
Der Film beginnt mit dem Bild eines Berliner Platzes, in das von rechts nach links diagonal eine Straßenbahn sich hinein bewegt. Die Szene wirkt ein wenig futuristisch verfremdet, die Silhouette der Hochhäuser in fast *amerikanischer Manier hoch in den Himmel gerichtet. Die *Musik verstärkt den Rhythmus durch schnellen Techno-Sound, der zum unterlegten Geräuschpegel einer high-tech-city paßt. Der Kameraschwenk folgt der horizontalen Bewegung der Bahn diagonal durch den Ausschnitt des Bildes, dann, für einen Moment, fließender Verkehr, Autos fahren vorbei, und sogleich schießt die Bahn wieder zurück ins Bild und Schnitt: es folgt das Bild eines Mannes mit weißem Helm, der versucht, sein Motorrad zu starten. Im Hintergrund der Szene merkwürdig abstrakt wirkende Laternen, hohe Häuser, eine Brücke, über die sich eine andere Bahn schiebt.
Der Motorradfahrer wirkt wie aus Fragmenten zusammengesetzt: einzelne Gliedmaßen kommen ins Bild, Handgriffe, sein Gesicht im Ausschnitt des Rückspiegels. Das filmische Stilmittel charakterisiert den ganzen Film: die Sequenzen mit Ausschnitten von Gesichtszügen, Gliedmaßen, Körpern im Spiegel vorbeifahrender Fahrzeuge imaginieren eine Kulisse des Fragmentarischen, der Beschleunigung und Betriebsamkeit, der *Moderne. Es folgen in schnellen Schnitten die Bilder zweier Bahnen, wie sie sich aus entgegengesetzter Richtung begegnen und diagonal aneinander vorbeischieben. Schienen, Stege, Geleise, Bahnen in Bewegung, hin und her, in Bewegung wie die rollenden Treppen, hinauf und hinunter, auf denen sich die Menschenströme mischen. Die Szene könnte alltäglicher nicht sein, aber die *Technik der fast expressionistischen Filmsprache fokussiert den Blick auf Menschen, die in Einzelteile zerfallen, die als vereinzelte untergehen im Gewoge anonymer Massen, die hin- und hergeschoben werden auf Bahnsteigen, Rolltreppen, Fließbändern. Die unterlegte Musik verstärkt die Bewegung, mit einem Saxophon-Solo hier und da im Hintergrund, das die Stimmung von Einsamkeit im Gedränge akustisch evoziert.
Die Menschen kommen zunächst nicht als Individuen in den Blick, sondern als huschende Silhouetten, als eilige Automaten, ohne Sprache, wie aufs Gleis gesetzt. Nur der Motorradfahrer, der vergeblich seine Maschine zu starten sucht, wird aus der anonymen Masse herausgehoben. Mit seiner Brille, in zähem Ringen mit der Tücke des Objekts, wirkt er fast ein wenig altmodisch, der Technik hilflos ausgeliefert, an ihr scheiternd, fluchend; seinem Willen trotzt die Maschine. Die Kamera schwenkt zurück zu den Bahnen, die nun die Fläche bieten für den eingeblendeten Titel des Films: "Schwarzfahrer".
Erst jetzt sucht die Kamera einzelne Gesichter, aber sie bleiben einzeln; auf das Verhältnis der Personen zueinander können wir nur schließen aus ihren Blicken, den Fragmenten der aneinander montierten Nahaufnahmen. Die Kameraperspektive bleibt überwiegend neutral. Nur gelegentlich übernimmt sie kurz die Perspektive einzelner Personen, etwa des Kontrolleurs, der auf die nebeneinander sitzenden Protagonisten herabschaut, oder des Jungen mit dem lauten Walkman, wenn er mißbilligende Blicke von Passagieren ruhig erwidert, oder des Schwarzen, seinem Blick folgend hinaus auf die vorbeigleitenden Häuserfronten. An keiner Stelle jedoch läßt sie sich ein auf die Perspektive der alten Frau.
Deren rassistische Tiraden bilden den Kern der Sequenz, sie wiederholen sich, verlieren sich, stoßen auf taube Ohren, leere Blicke. Die teilnahmslosen Blicke vor allem hebt die Kamera heraus, kein Mund gerät ins Bild: niemand widerspricht den Parolen. Diese Zentralsequenz unterscheidet sich filmstilistisch deutlich von den Sequenzen zuvor und danach: dröge Indifferenz gegenüber dem Haß, unberührt die Mit-Monaden, ungerührt die Teilnahmslosen, eindringlich aufgezeichnet durch wenige, intime, genaue Kamerablicke. Die merkwürdig somnambule Sequenz endet abrupt mit dem Signalton an der Haltestelle. Der Kontrolleur steigt ein.
3.3 Farbregie und Tonspur
Mit dem Kontrast von Schwarz und Weiß spielt der Film in mehreren Hinsichten, auf mehreren Ebenen. Der Titel "Schwarzfahrer" referiert auf den 'blinden Passagier', der rechtswidrig Beförderung sich erschleicht, ohne das Entgelt dafür zu entrichten, aber auch auf den Schwarzen, der eigentlich kein 'Schwarzfahrer' ist; das ist vielmehr der verhinderte Motorradfahrer; als Schwarzfahrer aus der Bahn gewiesen aber wird am Ende die alte Frau.
Entscheidet sich heute ein Regisseur bewußt für "Schwarzweiß", so bringt das meist eine zeitliche Dimension ins Spiel. Stephen Spielberg drehte "Schindlers Liste" in Schwarzweiß, um eine Authentizität des historischen Dokuments zu suggerieren. Hier geht es nicht um die Geschichtlichkeit der dargestellten Handlung, aber möglicherweise um den Einfluß der Geschichte (Nazi-Deutschlands, des Faschismus, des Rassismus) auf deutsche Gegenwart. Die Reden der Alten sind gespickt mit entsprechenden Allusionen ("Das wäre früher nicht passiert ...").
Der Kontrast von Schwarz und Weiß wird balanciert durch den Dialog, der den Gegensatz mühelos überwindet: der weißgewandete Schwarze in lockerem Gespräch mit seinem weißen Freund in schwarzer Kleidung; sie reden und scherzen und lachen miteinander, berühren sich und hören Musik ein Bild der schwarz-weißen Harmonie. Desgleichen das Mädchenpaar, weiß und blond und deutsch das Gesicht des einen, dunkelhäutig und schwarzhaarig, von anatolischem Schnitt, das des anderen, ihre Körper in engem Kontakt, tuschelnd, kichernd, in vertrautem Geflüster, nach den türkischen Jungen schielend von weitem *Freundschaft über ethische Barrieren hinweg im Bewußtsein ihrer Differenz.
Ton, Musik, Geräusche zitieren amerikanische Vor*bilder des Großstadtfilms. Melting-pot New York? Nicht Rap oder Reggae freilich markieren subkulturelle Abgrenzungen, aus dem Walkman des weißen Jungen tönt Funk Rock, mainstream music einer international uniformierten Jugendkultur mit ihren baseball caps und baggy jeans und brothers' handshakes. Die Tonspur suggeriert hier multikulturelle Coolness als supranationales Kulturem der Massen eher als widerständige Assoziationen des alltäglichen Rassismus: die Jungen sind hip und amerikanisch-universell, nur die Alten sind es, die stur und eng sind, nationalistisch und rassistisch, fremdenfeindlich und gottesfürchtig: Vergangenheit also.
Und die Wirklichkeit? Würde deren dramaturgisch schwer zu bewältigende Unübersichtlichkeit das eher schlichte Strickmuster möglicherweise verwirren und das didaktische Identifikationspotential des Films unnötig beschneiden? "Schwarzfahrer" wird an den Schulen gezeigt mit Erfolg. Türkische *Jugendliche im Publikum identifizieren sich mit dem schwarzen Protagonisten und applaudieren, wenn er den Fahrschein der Deutschen ißt: "und als nächstes essen wir ihre Pässe!"
3.4 Dialogregie
Der Film kommt mit einem Minimum an Dialog aus. Die Leute reden kaum und wenn, dann kaum miteinander. Die schwarz-weißen Paare sind die signifikante Ausnahme. Aber auch ihre Gespräche werden weniger geführt als zeichenhaft ins Bild gesetzt. Deutlich zu verstehen ist nur ein Satz des Protagonisten: "Ist da noch frei?" fragt der Schwarze ebenso höflich wie rhetorisch (die Kamera beantwortet die Frage), als er das Abteil betritt und setzt sich auf den freien Platz neben der alten Frau, die schon seine körperliche Nähe als persönliche Beleidigung zu empfinden scheint. Jedenfalls reagiert sie scharf auf den Eindringling in ihre Sphäre ("Flegel!"). Schließlich gebe es andere freie Plätze.
In diesem Minutenbruchteil verdichtet sich ein Stereotyp des Migrationsdiskurses in Deutschland: Platz für den Fremden wäre wohl da, aber "das Boot ist voll"; die stets rekapitulierte Frage, wie viele Immigranten eine Nation "verkraften" könne, ohne ihre kulturelle (ethnische, rassische) Identität zu verlieren, entlarvt sich hier als Anspruch, "unter sich" bleiben zu wollen, unter Deutschen, Weißen wie Du und Ich und nicht wie die Andern, Fremden, Schwarzen gar.
In schnellen Schnitten bezieht die Kamera die anderen Fahrgäste ein; sie kreiert den Mikrokosmos des Abteils: jeder Hinzutretende verändert die Struktur und muß seinen Platz darin finden und behaupten. Der fremd aussehende Eindringling wird von der Alten nicht etwa direkt angesprochen, sie spricht wie zu sich selbst, aber Zustimmung heischend der anderen um sie herum, die sie hören und keine Miene verziehen. Dieser Quasi-Monolog ist die längste Sprachsequenz im Film, ironisch ins Bild gesetzt von der Kameraführung: der Schwarze und die Alte nebeneinander, jeder sieht in die andere Richtung, alle erdulden ungerührt das rassistische Gerede:
Sie Flegel! Warum setzen Sie sich nicht woanders hin? Es gibt doch genug Plätze hier. Jetzt kann man schon nicht mehr Straßenbahn fahren, ohne belästigt zu werden. Wer von unseren Steuern profitiert, könnte sich wenigstens anständig benehmen. Als ob man sich nicht an unsere Sitten anpassen könnte. Hat euch denn jemand eingeladen? Wir haben es alleine geschafft. Wir brauchen keine Hottentotten, die uns nur auf der Tasche herumliegen. Jetzt wo wir selber so viele Arbeitslose haben. Und dann arbeiten die alle noch schwarz. Also ob das jemand kontrollieren könnte. Man müßte wenigstens verlangen können, daß sie ihre Namen ändern, bevor sie zu uns kommen. Sonst hat man ja gar keinen Anhaltspunkt. Im übrigen riechen sie penetrant. Aber das kann man ja schließlich nicht verbieten. Als ob nicht die Italiener und Türken schon genug wären. Jetzt kommt auch noch halb Afrika. [An dieser Stelle protestiert der türkische Junge, aber die Alte fährt unbeirrt fort.] Das wäre früher nicht passiert, daß alle rein dürfen zu uns. Mein Hans sagte immer, lassen wir einen, dann kommen sie alle. Die ganze Sippschaft. Die vermehren sich ja wie die Karnickel da unten. [Die Kamera zoomt auf Augen und Ohren der Passagiere, man hört im Off der Stimme der Alten, Wortfetzen und rhythmische Fragmente der Wörter "Italiener" und "Türken".]
Kein Wunder, daß die da alle AIDS haben. Die kriegen wir nie wieder los. Wenn das jetzt so weitergeht bei uns, gibt's bald nur noch Türken, Polen und Neger hier. Man weiß ja schon bald nicht mehr, in welchem Land man lebt.
[Nach der Haltestelle hören wir den Kontrolleur sagen: "Guten Tag: Fahrscheinkontrolle. Ihre Fahrscheine bitte." Der Motorradfahrer nimmt seinen Helm ab und murmelt: "Na klar. Scheiß Tag."] Ich trau mich ja schon nicht mehr auf die Straße, wenn's dunkel wird. Man liest ja so viel in der Zeitung. Wir haben uns jedenfalls einen Hund angeschafft, als man dem Türken unter uns die Wohnung gegeben hat. Man kann ja nie wissen. Sozialfall! [Sie nimmt ihren Fahrschein aus der Handtasche.] Von wegen! Die wollen alle nicht arbeiten.
In diesem Moment wendet der Schwarze, der bislang, Nüsse kauend, teilnahmslos aus dem Fenster geschaut hatte, seinen Blick, sieht den Fahrschein, schnappt sich ihn und ißt ihn auf. Die Alte sieht ihn jetzt zum ersten Mal direkt an, fassungslos; sie sucht den Blickkontakt mit den andern Fahrgästen, vergeblich. Der Schwarze sieht ruhig vor sich hin, schweigend, kauend. Der kleine Junge gegenüber ruft "Mama, guck mal!". Seine Mutter hat es auch gesehen, sagt aber nichts. Der Schaffner erreicht, sich umwendend, den Sitz der Alten und fordert sie auf: "Fahrscheinkontrolle! Ihren Fahrschein bitte." Die Alte ringt sichtlich um Fassung, sie sieht abwechselnd den Schaffner und den Schwarzen an, bis sie ihre Sprache wiederfindet: "Der Neger hier hat ihn eben aufgefressen!"
Der Satz faßt ihre vorherige Suada gleichsam zusammen: das degradierend-kolonialistische Nomen, das für's Tierreich reservierte Verb, die kriminelle Handlung. Der so Beschuldigte zuckt nur mit den Schultern, weist seinen Fahrschein vor und signalisiert dem Schaffner wortlos und mit kurzem Blick, die Alte sei wohl leicht durcheinander. Der Schaffner dankt ihm und wendet sich wieder der Frau zu: "So eine blöde Ausrede habe ich auch noch nicht gehört. Tja, wenn Sie keinen Fahrschein haben, muß ich Sie bitten, mit mir mitzukommen." Sie steigen aus, der Schaffner sucht unter beschwichtigenden Kalmierungen ("ja ja, schon gut") das Lamento der Alten zu ignorieren und ihre Personalien aufzunehmen für die Buße. Die Alte schimpft weiter. "Die fressen schon unsere Fahrscheine, wenn ich Ihnen das sage! Glauben Sie mir doch, ich bin noch nie ohne Fahrschein ... Die haben es doch alle gesehen. Ich ich verstehe das nicht. Sie haben es gesehen."
Dialogische Verständigung findet in diesem Film nicht statt: jeder hört die Worte des anderen, jeder reagiert auf sie, aber nie direkt in der Dyade des Gesprächs. Mit dem Mundraub des Fahrscheins reagiert der Schwarze auf die Tiraden der Alten, diese ihrerseits reagiert darin auf die Schlagzeilen-Rufe des Zeitungsverkäufers, man lese ja ständig von der Ausländerkriminalität, die Zeitungen seien voll davon und immer so fort. Der türkische Junge stößt Verwünschungen aus gegen sie, aber niemand versteht sein Türkisch. Aus den Mienen der anderen Fahrgäste läßt sich keine Reaktion auf die Suada der Alten herauslesen, die durch Schnitt, Tonspur und Kameraführung subtil desavouiert wird: im hörbaren Kauen und Mahlen der Zähne des Schwarzen bleibt der Adressat präsent, ohne im Bild zu sein, ein dösender Fahrgast schreckt auf, als von der "Belästigung" durch die Ausländer die Rede ist, ersichtlich belästigt und im Dösen gestört durch den Wortschwall der Alten.
Ihre Stereotypen türmen sich auf und prallen aneinander: "das Boot ist voll", aber der Fremde solle sich doch woanders hinsetzen, schließlich sei genug Platz; die Immigranten nehmen uns die Arbeit weg und sie sind arbeitsscheu; die Ausländer arbeiten 'schwarz' und leben von unseren Steuern; wir haben alles wieder aufgebaut, nach dem Krieg und ganz allein die "Gastarbeiter", die wir dazu ins Land holten, sind leider geblieben, statt zu verschwinden, wo sie hergekommen sind.
Subtile Desavouierung und Dekonstruktion durch Selbst-Decouvrierung: das ist die persuasive Technik des Films. Die einzig "gelingenden" Gespräche, die der beiden schwarz-weißen Paare, können wir nicht hören sie bleiben optischer Vorschein aufs Mögliche und Richtige und eigentlich Selbstverständliche: so könnte es sein. *Utopie und Des-Illusion.
Für die Zukunft stehen die Jungen, positiv, natürlich, tolerant: Identifikationsfiguren. Rassismus ein Problem der Alten und Ewig-Gestrigen nur? Die Botschaft des Films ist ebenso sympathisch wie zwiespältig. Sie blendet die alltägliche Realität des Rassismus der Glatzköpfe aus, die hohl klingen, wenn sie aneinander schlagen. Die Springerstiefel marschieren, Haß und Hakenkreuze werden ins Netz gestellt nichts davon im Film. Er suggeriert: abwarten, und das Problem löst sich biologisch. Die Ordnungsmacht, repräsentiert durch den Schaffner, wird damit fertig, don't worry, die Institutionen sind gerecht, neutral und farbenblind. Nichts von Asylantenlagern, Polizeiübergriffen, Abschiebehaft, billigen Arbeitskräften aus dem Ausland und der Alltäglichkeit des Ausländerhasses in Jugendbanden. Warnung oder Entwarnung oder beides zugleich?
3.5 Witz und Widerstand
Der subversive Witz decouvriert die Widersprüchlichkeit der rassistischen Stereotypen. Assimilation und Abgrenzung wird zugleich gefordert: "Als ob man sich nicht an unsere Sitten anpassen könnte", sagt die Frau und ist zugleich unsicher, was deren verbürgte Richtschnur sei: "Man weiß ja schon gar nicht mehr, in welchem Lande man lebt." Die vox populi klingt auch in vermeintlich multikulturellen Gesellschaften (und solchen, die sich dafür halten, wie die Schweiz) nicht viel anders. Sich alter Identitäten neu zu vergewissern in wechselvollen Zeiten, dazu dient der neue ordo des sozialen Konsens darüber, wer dazugehört und wer eben nicht: Bürger, die ihre Steuern und Fahrscheine zahlen und die *Anderen, Ausländer und Asylanten, Delinquenten und Sozialempfänger, Schwarze und Schwarzfahrer.
Diese Ordnung wird hier unterlaufen durch die Strategie der filmischen Dramaturgie. Der Bürger und Ikon für Recht und Gesetz und Tradition wird als Schwarzfahrer an die Luft gesetzt. Der Schwarze wird zum Idol des Widerstands. Er hat, als einzelner, die Sache in die Hand genommen und die Balance zwischen Recht und Gerechtigkeit wieder hergestellt. Das Publikum lacht befreit: Problem gelöst, Katharsis gelungen; die List des Einzelkämpfers schlägt das '*System' mit dessen eigenen Mitteln: sie wird nicht als Erniedrigung verstanden, sondern als gerechte Notwehr. Aus der Geste der Ohnmacht, wird suggeriert, erwächst die Macht. Wer dem Schwarz-Sein das Recht abspricht, soll wenigstens für's Schwarz-Fahren büßen.
Der Triumph des Tricksers indessen enthüllt das Dilemma: der Einzelkämpfer bleibt Außenseiter; seine Diskriminierung bedient sich subtilerer Strategien als krud rassistischer Rhetorik. Die Fahrgäste im Abteil bleiben so passiv wie die schweigende Mehrheit des Publikums im Parkett oder der Zuschauer, die dabei stehen, wenn wieder mal Schwarze oder Schwule verprügelt oder ihre Häuser angezündet werden. Das methodologische Dilemma der Minderheiten-Forschung bringt Teun van Dijk auf den Punkt, wenn er, wie in seinem Buch über Elite Discourse and Racism (1993), die Wahrnehmung des Diskriminierten zum Maßstab der Diskriminierung erklärt, dem aber zugleich die Objektivität in der Wahrnehmung des Sachverhalts abgesprochen wird.
Ein Blickwechsel genügt im Film, die Gefechtsformationen sauber zu sortieren. Die Frage des Schwarzen würdigt die Alte keiner Antwort; sie mustert ihn nur von oben bis unten. Der weiß nun, was er zu gewärtigen hat. Diese kurze Einstellung zeigt eindringlicher als der folgende Monolog mit seiner krassen Unverblümtheit, die lautlose Alltäglichkeit der Diskriminierung in den vermeintlich so toleranten Gesellschaften europäischer Prägung. Aus diesem Unbehagen befreit der Film durch *Lachen. Aber das Unbehagen kehrt zurück.
4 Diskriminierung im Diskurs der Medien
Die beiden hier bewußt exemplarisch im Sinne einer Projektskizze zitierten Filme könnten gegensätzlicher kaum sein. Sie markieren die Spannweite des Projekts, 'Diskriminierung im Film' zu thematisieren, ein Projekt, das einzubetten wäre in den rasant expandierenden Sektor der kritischen Diskursanalyse kontemporärer Medienkommunikation. In diesem Sektor bildet die Untersuchung von Formen und Funktionen der Diskriminierung von Minderheiten in den Medien bislang noch ein vergleichsweise schmales Segment. Empirische Analysen im Schnittfeld von Kultur-, *Kommunikations- und Medienwissenschaften, Sprach-, Literatur- und Sozialwissenschaften, Psychologie und Semiotik müßten hier das Terrain genauer ausleuchten.
Bisher lag der Schwerpunkt solcher Ansätze vor allem im Bereich der Rassismuskritik auf der Grundlage der (publizistikwissenschaftlichen, textlinguistischen, diskursanalytischen) Untersuchung von Pressetexten (Merten, Ruhrmann et al. 1986; van Dijk 1993; Jäger 1997). Inhaltsanalytische Arbeiten haben das Bild der Ausländer in der Presse herausgearbeitet (Küpfer 1994), die Asylberichterstattung kritisch unter die Lupe genommen (Hömberg & Schlemmer 1995), Stereotypen und *Metaphern auf ihren latent xenophoben Inhalt hin geprüft (Wagner 2000) und gefragt, "inwieweit einzelne Bezeichnungen (und Sprachregelungen) auf die öffentliche Meinung vorurteilsauslösend wirken" (Ruhrmann 1997: 63).
Funk und Fernsehen sind (nach angelsächsischem Vorbild: cf. Dines & Humez eds. 1995) im deutschsprachigen *Raum erst seit Mitte der 90er Jahre Gegenstand *systematischer Aufmerksamkeit im Hinblick auf das Thema Ausländer, Fremde, Migration und Diskriminierung geworden. Zwar gibt es im Hörfunkbereich nicht wenige kritische Hinweise auf bestehende Ausländerprogramme und Initiativen zu deren Verbesserung (cf. Hess-Lüttich 1992; Meier-Braun & Kilgus 1996), "systematische Analysen der Berichterstattung über Ausländer blieben jedoch unbekannt" (Ruhrmann 1997: 59).
Im Bereich des Fernsehens konzentrierte sich die Forschung auf Fremdbilder in der Berichterstattung (Eckardt & Horn 1995) oder den Zusammenhang zwischen fremdenfeindlichen Schlüsselereignissen und Nachahmungstaten (Brosius & Esser 1995) und Defizite in der Behandlung von Themen wie Rassismus, Rechtsextremismus, Ausländer und Asyl (Funk & Weiß 1995).
Im engeren Bezirk der Germanistik und Linguistik ist es vor allem das Verdienst von Gruppen um Ruth Wodak in Wien, Georg Stötzel in Düsseldorf, Siegfried Jäger in Duisburg und Harald Burger in Zürich, das Thema Migration und Medien, öffentliche Kommunikation und Fremdverstehen mit Nachdruck auf die Agenda gesetzt zu haben. Die von diesen Gruppen vorgelegten Arbeiten über die medientypischen "Formen von rassistischen* Diskursen" (Matouschek et al. 1995), das "Reden über Ausländer" in den Medien (Jung et al. 1997) oder deren vorurteilsverstärkende "Kollektivsymbol*systeme" (Link 1982), über "Rassismus und Medien" (Jäger & Link eds. 1993) oder "Gewalt im Gespräch" der TV-Talkshows (Luginbühl 1999) seien hier nur stellvertretend genannt für den durch zahlreiche Studien bereiteten Boden, auf dem das Thema auch innerhalb der Germanistik und Linguistik fruchtbar weiterverfolgt werden kann. (7)
So gilt es vor allem, die empirische Basis der Studien zu verbreitern und die linguistische Analyse besser mit den inhaltlichen und kontextuellen Ebenen zu verknüpfen. Darüber hinaus sind die dialogischen Strukturen genauer zu untersuchen, in denen Fremdheit als Beziehungsmodus generiert wird. Dabei sind auch die indirekten symbolischen Mechanismen und die nichtsprachlichen Ebenen einzubeziehen, die als ritualisierte Formen der Grenzziehung figurieren und damit für die Definition des Kommunikationsverhältnisses und die Regulation des emotionalen Interaktionsklimas zentrale Bedeutung gewinnen.
Genau dies hat sich etwa Tanja Thomas (in Vorb.) vorgenommen, wenn sie in ihrem Promotionsvorhaben der Frage nachgehen will, wie sich Medienschaffende in Fernsehgesprächen gleichsam ungewollt, d.h. entgegen ihrer eigenen Absicht, durch ihre Sprache und ihren medienspezifisch inszenierten Umgang mit Ausländern an deren Diskriminierung beteiligen. Dabei geht es ihr weniger um den Aufweis rassistischer Redeweisen in Terminologie und Metaphorik als um die impliziten, mehr oder weniger verborgenen Mechanismen der Diskriminierung, wie sie sich zeigen in der Themenwahl (z.B. als Polarisierung in der Talkshow "Kerner": "Ausländer sind die besseren Männer"), in der "Skandalinszenierung" (z.B. als Täter-Opferrollenkonstruktion in der Talkshow "Vera am Mittag": "Ehe mit einem [muslimischen, gewalttätigen] Ausländer"), in der Reproduktion von Stereotypen (z.B. als Klischee-Verstärkung in der Talkshow "Bärbel Schäfer": "Was reizt dich nur an farbigen Männern?"), in der Personalisierung von Interpretationsmustern (z.B. in der Darstellung binationaler Beziehungen als "Problem" in der Talkshow "Bärbel Schäfer": "Sie konnten zusammen nicht kommen. Sabine liebt Mehmet"), in der Herstellung vereinfachender Kausalbezüge (z.B. zwischen Kriminalität und Ausländern) und in der Emotionalisierung der politischen Debatte über Migration und Integration (z.B. in Erich Böhmes "Talk im Turm": "Doppelte Staatsbürgerschaft?"). (8)
Angesichts des Spektrums, das diese Untersuchungen in der jüngsten Zeit zur Diskriminierung im Diskurs der Medien Presse, Funk und Fernsehen entfaltet haben, überrascht die (soweit ich sehe) weit klaffende Lücke einschlägiger Fragestellungen in Bezug auf das Medium 'Film'. Diese Lücke (und damit das Desiderat ihrer Schließung) nicht ganz aus dem Blick zu verlieren, dazu sollte diese kleine Skizze anregen durch das Beispiel eines rassismuskritischen Kurzfilms und eines Dokumentarfilms, der die Praxis der institutionellen Befragung von Asylbewerbern aufs Korn nimmt. Die wachsende Zahl von Spielfilmen sollte uns nun aber dazu motivieren, den Blick noch genauer auf die nicht immer unproblematischen Formen der Vergesellschaftung des Migrationsproblems in der (multimedialen) Unterhaltungsindustrie zu lenken: They teach us how to be happy?
5 Anmerkungen
1) Zum Konzept und methodischen Instrumentarium der "Kritischen Diskursanalyse" zur Untersuchung von Texten gleich welchen Mediums cf. neuerdings Fairclough & Wodak 1997; zu möglichen neuen (linguistischen) Anwendungsfeldern cf. Brünner et al. (eds.) 1999. (zurück)
2) Cf. Alexander Smoltczyk, "Erregend anders", in: DER SPIEGEL 36 v. 6.9.1999: 94-97, hier bes. 95. (zurück)
3) Cf. Hans-Günther Dicks, "Wir wollen die Bananen und den Tee", in: DER KLEINE BUND 148, Nr. 38 v. 15.2.1997: 5. (zurück)
4) Cf. Fred Zaugg, "...ich glaube, wir müssen das wagen", in: DER BUND 147, Nr. 201 v. 29.8.1996: 2. (zurück)
5) Der Film böte in reichem Maße anschauliches Material für eine linguistisch detaillierte kritisch-empirische Diskursanalyse institutionell-interkultureller Kommunikation im Sinne etwa von Rehbein (ed.) 1985 oder Hess-Lüttich (ed.) 1992, wozu in diesem Rahmen nur angeregt werden kann. (zurück)
6) Dabei stütze ich mich teilweise auf Passagen eines Referats von Nicole Waller, das sie in englischer Sprache in meinem Medien-Seminar am Graduate Center der City University of New York im Herbstsemester 1998 gehalten hat und für das ihr an dieser Stelle sehr herzlich gedankt sei. (zurück)
7) Da hier kein Forschungsbericht angestrebt ist, wird auf einen umfassenden bibliographischen Nachweis bewußt verzichtet: auch außerhalb der genannten Gruppen sind, versteht sich, zahlreiche einschlägige Arbeiten entstanden, die sich mit dem Migrationsdiskurs in der Schweiz (Hess-Lüttich 1997), mit medientypischen Diskriminierungsformen (Galliker & Wagner 1995) oder dem Spannungsfeld von "Medien und Fremdenfreindlichkeit" (Scheffer ed. 1997) und von "Massenmedien, Migrant(inn)en und Rassismus" (Butterwegge 1999) befassen. (zurück)
8) Die Beispiele sind einer "Skizze des Promotionsvorhabens" (Ms. Tübingen 1999) entnommen, die mir die Verf. zur Begutachtung geschickt hat und für die ihr an dieser Stelle herzlich gedankt sei. (zurück)
6 Literaturhinweise
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Von MB erfuhr ich durch seine Arbeiten lange bevor ich ihn persoenlich kennenlernte, weil seine Forschungsinteressen sich mit meinen ueberschneiden. Ich traf ihn m.W. zum ersten Mal in den *USA, als ich dort (Indiana University Bloomington) einen Lehrstuhl fuer German Studies innehatte, der verbunden war mit einer Assozierung an das Department fuer Comparative Literature und einem Fellowship am Research Center for Semiotic Studies. Das Forum war, glaube ich, eine der Jahrestagungen der Modern Languages Association (MLA), die wir beide phasenweise mehr oder weniger regelmaessig zu besuchen pflegten. Vielleicht sollten wir uns dort mal wieder verabreden, wenn die Kontakte zwischen den Schweizer Universitaeten so bleiben wie sie sind. |
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Ernest W.B. Hess-Lüttich ist Ordinarius für Textwissenschaft, Direktor am Institut für Germanistik der Universität Bern. Forschungsschwerpunkte: *Diskursforschung (literarische, *interkulturelle, intra-/subkulturelle, institutionelle, öffentliche, fachliche *Kommunikation).
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