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"Ja, hier Studer, Kantonspolizei Bern. Eine Frage, Herr Anstaltssdirektor. Hat vielleicht gestern jemand eine Gruppe von auffälligen Personen bei Ihnen eingeliefert, in Windjacken, Leute, die seltame Dinge behaupteten? Grössenphantasien, Identitätsverwirrung - sie kennen die Sorte... - Aha, aha soso jaja... Ein Holzhändler, sagen Sie, mit einem Lieferwagen... Im Wald bei Luthernbad, an der Enziwigger... Nein, die Gegend kenn ich nicht... Reizvoll, aber einsam - kann ich mir vorstellen... Angst? Warum hatte der Holzhändler Angst?... Ach so, ja sicher, da kann es einem schon unheimlich werden, wenn man so ganz allein mit sieben Typen dahinfährt und die singen zusammen die Landeshymne... Ein kluger Mann, gleich bis nach St.Urban durchzufahren... Wie, ein Trick? Was war mit dem Trick? ... Aha, verstehe, nur mit einem Trick waren sie zu beruhigen... Ja, Ihre Pfleger haben Erfahrung, Gold wert, gratuliere der Anstalt, gratuliere dem Direktor. Ein bisschen was in den Tee, und dann jedem eine Spritze in die... Perfekt! -- Jetzt schlafen sie also. - Alle? Auch der mit dem Kompass? -- Nun hören Sie gut zu, Herr Direktor. Die Gruppe ist den Behör-den in Bern bekannt. Es muss alles geheim bleiben, wegen gewisser Verbindungen mit einflussreichen Familien, Sie verstehen... Nein, nein, alle sieben sind völlig harmlos... Nur diese eine fixe Idee, sonst ganz harmlos ... Genau, es gibt ja auch solche, die meinen, sie seien der Napoleon oder der Präsident von *Amerika..."
Studer lachte herzhaft, und man hörte den Anstaltsdirektor in der Ferne scheppernd mitlachen.
"Gewiss, Herr Direktor, gutmütige Leute in der Regel, wenn man ihre fixe Idee nicht anzweifelt... Ich nehme jetzt die Sache an die Hand. In zwei Stunden bin ich bei Ihnen ... Ja, ich hole die Leute persönlich ab, mit zwei Dienstwagen... Nein, das ist nicht unter meiner Würde. So was gehört zu meinem Beruf... Nein, zu baden brauchen Sie sie nicht, lassen Sie sie so, wie sie sind... jaja ... gleich in den Bergschuhen. Wir duschen sie dann hier in Bern gründlich ab und tschoopen sie wieder anständig an."
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Ausschnitt aus: Ein unbekanntes Kapitel aus Friedrich Glausers Roman "Wachtmeister Studer" resp. "Schlumpf Erwin Mord"
von Matt Peter

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Am Ende von *Celebrity, *Woody Allens jüngster Komödie über die Unsitten der Großstadtmenschen, sitzt sein von Kenneth Branagh gespieltes Alterego Lee unbegleitet im *Kinosaal. Um ihn herum die stars und fans, die wie er gekommen sind, um einer Filmpremiere beizuwohnen. Erschüttert starrt der erfolglose Schriftsteller auf die Kinoleinwand, auf der in der Anfangsszene des ablaufenden Films ein Flugzeug das Wort help am Himmel erscheinen läßt. Gerade hat er seine geschiedene Frau Robin wieder getroffen und an ihrem maßlosen Glück erkennen müssen, wie hoffnungslose unglücklich er selber ist. Hatte er sich am Anfang des Films von ihr trennen wollen, weil er sich hemmungslos den Abenteuern des Lebens - den Frauen und der Kunst - hingeben wollte, muß er nun die Eitelkeit dieses Unterfangens einsehen. Wie sehr das Schicksal seinen Protagonisten eingeholt macht Woody Allen an der Schlaufe sichtbar, die dieses letzte Filmbild an den Anfang seines eigenen Films zurückbindet. Auch Celebrity hatte mit dem Auftauchen der Buchstaben am Himmel eingesetzt. Lee war bei den Dreharbeiten dieser Szene anwesend gewesen. Doch während er damals, seiner männlichen Potenz sicher, der verheissungsvollen Botschaft keine Beachtung schenkte, muß er diese nun unweigerlich auf sich selbst beziehen. Seine Liebesgeschichten sind alle gescheitert, sein Vorhaben, den großen *amerikanischen Roman des ausgehenden Jahrhunderts zu schreiben, auch. Stellvertretend für die Generation der 40jährigen gibt er sich entmutigt und entkräftet einer hilflosen Ratlosigkeit hin.
Woody Allen ist nicht der einzige, der auf die Krise des weissen, bürgerlichen Mannes, die in den letzten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts besonders virulent geworden ist, reagiert, indem er die traurigen Folgen dieser Kränkung ausschmückt. Am erschütterndsten ist dies Michel Houellebecq mit seinen Elementarteilchen gelungen. Mit einer Frauenverachtung, die in der Gegenwartsliteratur ihres gleichen sucht, wird hier die Schuld für das bedingungslose Unglück der Männer nicht nur dem egoistischen Selbsterfüllungsdrang der Nachkriegsmütter zugeschrieben. Auch dürfen hier nicht nur - wie es seit dem Orpheus-Mythos die Tradition diktiert - die *Geliebten der in ihrer Schöpfungskraft ermatteten Helden schön sterben, damit der Mann am Tod der Frau wieder erstarkt. Houellebecq verbietet uns selbst diesen schaurigen Trost. Er läßt seine erschlafften Männer am Tod der Frauen mit zugrunde gehen und macht daran zudem seine distopische Programatik fest: Am Ende des 20. Jahrhunderts bleibt uns als einziger Ausweg aus der Misere, in die der Humanismus und die *Aufklärung die westliche Kultur gestürzt haben, die radikale Auslöschung des Menschen und dessen Ersetzung durch eine neue Spezie.
Aber soll es ausser weiblichen Leichen als Auslöser für Kunst und dem Schwanengesang einer abdankenden männlichen Klasse, wirklich keine anderen *Bilder geben, mit denen wir den Zusammenbruch der Vormachtstellung des weissen bürgerlichen Mannes ästhetisch erörtern könnten. Bleiben uns wirklich nur Geschichten der Resignation, des Wahnsinns oder der Selbsttilgung? Oskar Negt hat einmal den Vorschlag gemacht: Den *Utopieverboten entsprechen die falschen Realitätsdefinitionen. Das scheint zumindest Woody Allen sich zu Herzen genommen zu haben. Denn das Unglück seines Alteregos wirkt gerade dadurch so brisant, daß parallel zu seinem Absturz gleichzeitig der Aufstieg der von ihm betrogenen Frau gefeiert wird. Judy Davis, die wie in Husbands and Wives eine verklemmte Stadtneurotikerin spielt, verwandelt sich im Verlauf der Handlung von einer schlampigen Schullehrerin in einen strahlenden, erfolgreichen Fernsehstar. Auf die ironische Wandlung, die ihr Leben eingenommen hat hinweisend erklärt Robin dem erstaunten Lee, sie sei sich völlig bewußt, daß sie sich in genau jene Art Frau verwandelt hat, die sie früher immer gehasst hat. Aber sie sei tatsächlich glücklicher. Gerade weil sie nur zu gut weiß, daß ihr plötzliches Glück zufällig ist, kann sie auch so lustvoll mit ihrer neuen Identität spielen.
Ausschnitt aus: Eurydikes starke Schwestern. Gedanken zur Krise der *Männlichkeit im *Hollywood *Kino der 90ger Jahre
Bronfen Elisabeth

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Ich zitiere Bhabha hier aus der deutschen Uebersetzung, um seine Argumentation nicht nur verständlich sondern auch klarer zu machen. (Es gibt meiner Meinung nach nur zwei Schriftsteller, die auf deutsch besser verständlich sind als auf English--Homi Bhabha und Ludwig Wittgenstein. Doch Homi Bhabha ist der einzige, dessen Werk erst in der Uebersetzung richtig klar wird). Trotzdem birgt der Gewinn an Klarheit die Gefahr eines Verlustes an Wahrheit. Bhabha verwirft Goethes These, dass Weltliteratur recht eigentlich die Frucht einer ganzen Welle von revolutionären und napoleanischen Konflikten gewesen sei, die während dem späten 18. und frühen 19. Jahrhundert ausgefochten wurden. Diese Fehlinterpretation macht es unumgänglich, den von Bhabha zitierten Abschnitt aus Goethes Text einer genaueren Betrachtung zu unterziehen. Sicherlich ist es absurd, Goethe den Vorwurf des Eurozentrismus zu machen. In der Tat transformierten diese Kriege die Geschichte der Kulturen Nordamerikas tiefgreifend. Die *amerikanische Niederlage von 1812 bedeutete ja, dass die kanadische Hälfte des Kontinents keine Revolution durchmachte, während *Amerika, von der französischen und spanischen Schwäche profitierend, mit den Kolonien Louisiana, New Mexico und Kalifornien einen ganz neuen, multikulturalen Charakter erhielt. In Zentral- und Südamerika brachten die Befreiungskriege, angeführt von Bolivar und San Martin, die bereits schwindende politische Macht der Spanier und Portugiesen endgültig ins Wanken. Mehr noch: Der islamische Teil und die Küsten Afrikas, die Karibik, Indien, Australasien, aber auch Europa zwischen Irland und Polen, all diese Länder und Regionen wurden eine Generation lang von heftigen Konflikten geschüttelt, die fast nichts beim Alten beliessen. Aber Bhabha übersieht auch die spezifischen Umstände von Goethes These, dass alle Nationen unter einem kollektiven Kulturschock stünden, eine Idee, die ich später wieder aufgreifen werde. Wie wir sehen werden, hatte Goethe absolut recht, wenn er einen Verlust und gleichzeitig ein "bisher unbekanntes geistiges Bedürfniss hie und da empfunden" registrierte und beides mit einem globalen Verständnis der Literatur verknüpfte. Wenn jemand von Bhabhas Kaliber sich einen solchen Ausrutscher leistet, dann lohnt es sich, die Quelle seiner Fehlinterpretation näher anzuschauen. Dieses Vorgehen hat zudem den Vorteil, uns einen Einblick ins Reich der kulturellen Theorien zu verschaffen, die die gegenwärtigen Debatten in der englischsprachigen Welt prägen.
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Ausschnitt aus: Das Empire der Sprache
Hughes Peter

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Wo spielt Generation X? - Ein Thema, das Michael *Böhler und mich wiederholt beschäftigte, seit wir uns, ich glaube, es war in meiner ersten Sprechstunde im Rahmen eines einführenden Small Talks, mit dem Thema *USA auseinandersetzten. In unregelmässigen Abständen tauchte dann auch bei näherer Bekanntschaft die Frage wieder auf, über die wir uns nicht einig werden konnten, ob das 1991 erschienene Kultbuch von Douglas Coupland im grünen Norden ("irgendwo bei Seattle, in Oregon, oder gar auf der Olympic Peninsula?"), oder aber im Süden (Assoziationen von Wüste, Staub und glühendroten Sonnenaufgängen) der *amerikanischen Westküste sich abspiele.
Ich möchte die Gelegenheit einer topographischen Lektüre nun beim Schopf packen, nicht zuletzt im Hinblick auf *Michael Böhlers eigene baldige Abenteuerfahrt vom Norden in den Süden der USA: Welches sind die Schauplätze, an denen sich der Roman abspielt? Und was haben die Aufenthaltsorte von Dag, Claire und Andrew, den Protagonisten von Generation X, mit ihrer besonderen Weltanschauung, wenn es denn eine ist, zu tun?
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Ausschnitt aus: Wo spielt Couplands Generation X? Eine *Reise durch den Westen Nordamerikas.
Kolberg Sonja

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Wir erleben derzeit die Fusion zweier mächtiger, bisher separat verlaufender *Technologierevolutionen, der Bioinformatik und der Genomik. Die Industriegesellschaft entwickelt sich weg von ihrer bisherigen Ressourcenbasis: Statt Erdöl, Metallen und Mineralien entdeckt sie einen neuen Rohstoff: Gene. [*] [Die Gentechniker] treibt die Idee an, eine zweite Schöpfung zu kreieren. Sie wollen [*] den Code des Lebens knacken und umwandeln, damit er perfekter funktioniert als die erste Schöpfung.
In dieser Weise äußerte sich vor einiger Zeit im Zürcher Tages-Anzeiger der *amerikanische Wissenschaftskritiker Jeremy Rifkin.(1) Seine Aussagen sollen den Problemhorizont markieren, aus dem heraus sich meine Überlegungen formulieren. Mit dem Code des Lebens, den es zu knacken gilt, meint Rifkin die DNS-Struktur der Gene. Der Heidelberger Physiker und Philosoph Bernd-Olaf Küppers erläutert dazu:
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Ausschnitt aus:*Goethe und Genomik Zum Wechselverhältnis von Schrift und Leben
Andermatt Michael

Eine abschliessende Frage an Pierre *Bourdieu
Wir: Es gibt für reflektierte Wissenschaftler verschiedene Wege, zur Identitätskonstruktion einer Gesellschaft beizutragen. Inwieweit sehen Sie Unterschiede Ihres Engagement zum Beispiel im Vergleich mit Niklas *Luhmann oder Noam Chomsky.
Pierre *Bourdieu: Ich sehe mein Handeln nicht in einer Differenz zu Luhmann. Offen gesagt fühle ich mich Chomsky verwandter. Er wird sicher von raison dagir hören oder gehört haben und unsere Aktion unterstützen. Aber es gibt traditionellerweise schon auch grosse Unterschiede zwischen französischen und *amerikanischen Intellektuellen. Aus historischen Gründen ist es uns in Frankreich zum Glück möglich, viel enger mit den sozialen Bewegungen zusammen zu arbeiten.
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*Bourdieu
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Beleg und Abbild einer Realität dient, die mit eigenen Alltagserfahrungen kaum auszustatten wäre.
In *Hollywood wurde T. Coraghessan Boyles politisch korrekter Bestseller The Tortilla Curtain (dt. América) aufwendig verfilmt als Parabel über die Migranten aus Mexiko. Von illegalen Immigranten handelt auch der Film "Brothers in Trouble", in dem der in England aufgewachsene Inder Udayan Prasad den konfliktträchtigen Alltag in Londoner Quartieren zeigt, in denen die Einwanderer vom indisch-pakistanischen Subkontinent schon die Mehrheit der Bevölkerung stellen. "Harte Unterhaltung" nach Art der Briten ("Mein wunderbarer Waschsalon") wollen auch die jungen deutsch-türkischen Filmemacher wie Neco Çelik bieten, der neben seinem Job als Sozialarbeiter im *Berliner Jugendtreff Naunynritze einen Film für den WDR dreht. Alltag der Berlin-Türken ist das Thema der Filme von Thomas Arslan ("Dealer") oder Yüksel Yavuz ("Aprilkinder"). Der Regisseur Kutlug Ataman, der nach etlichen Jahren in Berlin, aber auch in Paris und Los Angeles, heute wieder in Istanbul arbeitet, bietet mit seinem Film "Lola und Bilidikid" eine multikulturelle Mixtur aus türkischem Melodram, deutscher *Familiengeschichte und *amerikanischem Thriller, aber auch die anrührende Liebesgeschichte zweier Männer im Kiez: Lola, Türke und Transvestit und Star der nächtlichen Show, verdreht dem 17jährigen Murat den Kopf Verwirrung der Gefühle.
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Ausschnitt aus: *Migrationsdiskurs im Kurz- und Dokumentar*film
Peter von Guntens They teach us how to be happy und Pepe Danquarts Schwarzfahrer
Hess-Lüttich Ernest

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