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Ein politischer Mensch und Kunstliebhaber, der die Widersprüche von seinem Denken nicht fernhalten kann, die zwischen Kunst und Politik sich auftun, findet in Heinrich Heines Worten über Wolfgang Goethe ein Echo seiner Gefühle und einen Kommentar seiner Erfahrungen. Die Worte, an die zu denken wäre, sind über die Schriften des Jüngeren verstreut und haben im Hin und Her der Schreib-Standorte die unterschiedlichsten Farben und Töne angenommen. Im Kern sind sie eines Sinnes: hervorgegangen aus jenen Widersprüchen und beglaubigt von den Schwankungen, denen das ehrliche Schreiben eines "in jeder Hinsicht politischen Schriftstellers", als der Heine sich verstand, ausgesetzt ist. Er war auch und gerade dann der politische, radikale Schriftsteller, wenn er über Goethes Kunst schrieb und darüber vergessen konnte, wie er ihn zu zausen beliebte, wenn einer seiner kleinlichen, kalten, klassenspezifischen Egoismen oder dummen Rückschrittsgedanken zu besprechen war. Diese Seite Goethes 'politisch' hochzuhängen und abgelöst von seiner königlichen poetischen Erscheinung ideologisch zu fixieren, überließ Heine im großen und ganzen den Gesinnungsliteraten der Zeit, zu denen er bis zur Verachtung Distanz hielt. Seine Nöte mit jenen Widesprüchen gingen zu tief und weit, als daß er sie von Parolen der Zeit, denen die Begeisterungsquellen der Künstler fremde Wasser waren, hätte aufsaugen lassen können. Seine Nöte waren die eines Revolutionärs mit einem entsetzlich guten Gedächtnis, das seiner unermeßlichen Begeisterungsfähigkeit, die ihn auf alle Tanzböden revolutionärer Philosophie und Politik hinaustrieb, im Wege war. Es war aber seine elementare Voraussetzung dafür, radikaler Künstler zu sein und darin auch Goethe noch zu übertreffen. Denn dieses Gedächtnis, überfüllt mit den Daten der "Leidensgeschichte der Menschheit", hielt fest an den Ideen der Revolution und wußte daher zur rechten Glaubens-Stunde, daß der mißtönende Tageslärm der Weltgeschichte vergessen sein mußte, um jetzt der Kunst, die auf die Vergangenheit hört und mit ihr nie "tatsächlich gebrochen hat", *Raum und Geltung zu verschaffen. Hier und jetzt dann herrscht allein das poetische Genie wie Goethe es für seine Zeit verkörpert. Über seiner Zeit steht, der diese Herrschaft anerkennt als Künster und Revolutionär. So sieht sich Heine, so kann er dem Olympier huldigen, ohne den Geheimen Rat zu hudeln: "in der Unparteilichkeit Goethescher Künstlerweise auferzogen." Diese Haltung, aus der die folgende kleine Blütenlese stammt und zu verstehen ist, mußte lebenslang vom Autor gegen die politischen Kleingeister der Zeit abgesichert werden. Es standen ihm dafür in der Regel (im übrigen das reichlich ergriffene Mittel des Duells) nur Worte zur Verfügung. Sie sind trockene Prosa und stechen ab gegen die Poesie der Goethe-Huldigungen. "Nicht selten verkennt man die Unparteilichkeit des Dichters so weit, daß man ihn antirevolutionärer Gesinnungen beschuldigt."

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Ausschnitt aus: "DIE LETZTEN TÖNE DER MARSEILLAISE MÜSSEN VERHALLEN"
Ein kleines Geburtstagsgebinde für Michael *Böhler aus melancholisch getrockneten Heine-Blumen um *Goethes Jupiterhaupt
Briegleb Klaus





Ich beginne meine Betrachtungen zum Thema "Weltliteratur" in englischer Sprache mit einer neuen, Ihnen vielleicht unbekannten Interpretation des *Goetheschen Konzeptes der Weltliteratur. Homi Bhabha zitiert nämlich in seinem Buch the location of culture Goethes letzte Betrachtungen zur Weltliteratur aus dem Jahre 1830 und kommentiert diese wie folgt:

"Goethe meint, dass die Möglichkeit einer Weltliteratur aus der kulturellen Verworrenheit entsteht, die von schrecklichen Kriegen und gegenseitigen Konflikten herbeigeführt wurde....’denn die sämtlichen Nationen, in den fürchterlichsten Kriegen durcheinandergeschüttelt, sodann wieder auf sich selbst einzeln zurückgeführt, hatten zu bemerken, daß sie manches *Fremdes gewahr worden, in sich aufgenommen, bisher unbekannte geistige Bedürfnisse hie und da empfunden.’ Goethe bezieht sich natürlich direkt auf die Napoleonischen Kriege, und sein Begriff des ‘Gefühls nachbarschaftlicher Beziehungen ‘ ist zutiefst eurozentrisch; dieses reicht nur bis nach England und Frankreich.”

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Ausschnitt aus:
Das Empire der Sprache
Hughes Peter




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"Europa sendet hierher [nach Berlin] seine Menschenexemplare. [...] Die Leute gehen, man weiss nicht wohin, und da kommen sie wieder, und es sind ganz andere Menschen, und man weiss nicht, woher sie kommen." (Jakob von Gunten, 1909)
Berlin, die Geheimnisvolle, die Blackbox, die Stadt, die magische und doch alltägliche Veränderungen in ihren Bewohnern vornimmt. Dies mag insbesondere für ihre Immigranten gelten, für welche die Stadt der Inbegriff des Aufeinadertreffens von Eigenem und *Fremdem darstellt.
Fremdes, Neues wird am Eigenen gemessen und damit "ange-eignet", einverleibt. Veränderung ist folglich unumgänglich.

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Auschnitt aus: *Robert Walser zwischen der Schweiz und *Berlin
Schibli Barbara







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