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Auch wenn Marie Salanders Stimme gegenüber dem männlichen Text ausgezeichnet erscheint und das Telegramm zum Schluss ihre Unterschrift trägt, so darf dies doch nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die Frau gebunden an eine von ihrem Mann vorstrukturierte Sprache äussert. Von ihm stammen die sinn- und bedeutungstragenden Worte, während sie nichts als die »verbindenden Kleinwörter« hinschreibt. Wie »Baumwolle« wickelt sich ihre Sprache um die Schrift des Mannes, die dadurch in ihrer Härte gemildert wird. Mit ihren »Stilkünsten« verwandelt sie Schriftlichlichkeit in Mündlichkeit und bringt damit jene emotionale Qualität zurück, die der lakonische »Blitzbrief« des Mannes in seiner auf Sparsamkeit und Effizienz ausgerichteten Ökonomie verloren hat.
Im Verhältnis von weiblicher Stimme und männlichem Text bezieht sich das Telegramm der Salanders sehr genau auf die im *Aufklärungsdiskurs des 18. Jahrhunderts festgelegte *Geschlechterdifferenz, die das Weibliche über die Natur, das Männliche über die Vernunft definiert. Weiblichkeit steht in dieser Konstellation für das Andere einer vernunftorientierten Ordnung und damit für das, was der Mann in einem an Fortschritt und Rationalität orientierten Prozess verloren hat. Indem Weiblichkeit zur Verkörperung dessen wird, was vom Zivilisationsprozess entweder nicht erfasst oder unterdrückt wurde, erscheint die Artikulation des Verdrängten und Verlorenen folgerichtig an eine weibliche Stimme gebunden, die innerhalb der herrschenden Ordnung sowohl im Effekt der Bereicherung als auch im Effekt der Zerstörung aufscheinen kann.

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Ausschnitt aus: Stimme und Schrift. *Geschlechterdifferenz und *Autorschaft bei Gottfried Keller
Amrein Ursula




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Je mehr man eine öffentliche Person wird, desto mehr wird das Durchhangeln von einer Problemlösung zur andern die gewöhnliche Form der Fortbewegung. Wie viele hat man "gestern noch auf stolzen Rossen" mit *Utopie und *Aufklärung auf dem Panier gesehen, die heute voll beschäftigt sind, für ihre Kompromisse nachträgliche Begründungen zu suchen. Ihr Hass gegen die Grundsätzlichen ist vorhersagbar: Er ist nichts anderes als das verwandelte schlechte Gewissen angesichts der eigenen Verwandlung zur Unkenntlichkeit. C. G. Jochmann, ein heute völlig vergessener Autor, hat darüber vor fast 200 Jahren das Nötige gesagt. Bei ihm, in seinem Essay über Die öffentliche Vernunft, kann man nachlesen und erfahren, dass dieser Zusammenhang schon zur Zeit der Französischen Revolution beobachtbar war. Man nannte damals "die bessern Köpfe, wenn sie mit ihren Grundsätzen nicht kapitulieren liessen, Principiers — Napoleon, der noch an der Spitze von 500,000 Mann gern den Satyriker machte, nannte sie Idéologues."

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Ausschnitt aus: SODALI, SODALIS!
*Stadler Ulrich




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Woody Allen ist nicht der einzige, der auf die Krise des weissen, bürgerlichen Mannes, die in den letzten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts besonders virulent geworden ist, reagiert, indem er die traurigen Folgen dieser Kränkung ausschmückt. Am erschütterndsten ist dies Michel Houellebecq mit seinen Elementarteilchen gelungen. Mit einer Frauenverachtung, die in der Gegenwartsliteratur ihres gleichen sucht, wird hier die Schuld für das bedingungslose Unglück der Männer nicht nur dem egoistischen Selbsterfüllungsdrang der Nachkriegsmütter zugeschrieben. Auch dürfen hier nicht nur - wie es seit dem Orpheus-Mythos die Tradition diktiert - die *Geliebten der in ihrer Schöpfungskraft ermatteten Helden schön sterben, damit der Mann am Tod der Frau wieder erstarkt. Houellebecq verbietet uns selbst diesen schaurigen Trost. Er läßt seine erschlafften Männer am Tod der Frauen mit zugrunde gehen und macht daran zudem seine distopische Programatik fest: Am Ende des 20. Jahrhunderts bleibt uns als einziger Ausweg aus der Misere, in die der Humanismus und die *Aufklärung die westliche Kultur gestürzt haben, die radikale Auslöschung des Menschen und dessen Ersetzung durch eine neue Spezie.

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Ausschnitt aus: Eurydikes starke Schwestern. Gedanken zur Krise der *Männlichkeit im *Hollywood *Kino der 90ger Jahre
*Bronfen Elisabeth






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