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Der Vierzeiler ist so gebaut, dass Sämann und Strickstrumpf in Opposition zu einander stehen, durch ihre Position, am Ende der ersten bzw. der letzten Zeile, und als die beiden einzigen Spondeen. Das lädt dazu ein, dieser Opposition weiter nachzudenken. Beides sind auch *Bilder für geistige Tätigkeiten. Der Saemann ist seit dem bei den Synoptikern überlieferten Gleichnis Jesu (Matth. 13, 4 ff; Mk. 4, 3 ff.; Luk. 8, 5ff.) Bild und Inbegriff dessen, der eine Botschaft zu verkünden hat. *Keller.html'>Gottfried Keller spielt damit, wenn er Heinrich von seinem Oheim, dem verbauernden angehenden Pfarrer im Dorf, sagen lässt: In Anwartschaft seines höheren Amtes übte er sich, als Saemann den göttlichen Samen in wohlberechneten Würfen auszustreuen und das Böse in Gestalt von wirklichem Unkraut auszujäten. (Der grüne Heinrich, Erste Fassung, 4. Kapitel) Auch Strickstrumpf hat sich als Bild geistiger Tätigkeit eingebürgert. Der früheste Beleg, den das Grimmsche Wörterbuch dafür bietet, stammt aus dem Brief *Goethes an *Schiller vom 30. Dezember 1795, in dem Goethe über hunderterlei Arten von Geschäftigkeiten und hunderterlei Arten von Müssiggang klagt und feststellt: mein Roman - es handelt sich um den "Wilhelm Meister" - gleicht indessen einem Strickstrumpf, der bei langsamer Arbeit schmutzig wird. Gottfried Keller stand also in der Goethe-Nachfolge, als er Ende 1854 aus *Berlin an Ferdinand Freiligrath schrieb, dass es ihm ganze Vierteljahre unmöglich war, den verfluchten Strickstrumpf - den "Grünen Heinrich" - auch nur anzurühren.

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Ausschnittt aus: Für Michael *Böhler
*Pestalozzi Karl




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*Autorschaft erscheint in *Keller.html'>Gottfried Kellers poetologischen Reflexionen sowie in seiner literarischen Beschäftigung mit der Künstlerthematik ausnahmslos an männliche Figuren gebunden. Indem Keller den Künstler als Schöpfer »süßer Frauen*bilder« vergegenwärtigt, bezieht er sich in anspielungsreicher Weise auf Denkfiguren, die in der petrarkistischen Liebeslyrik, dem Mythos von Pygmalion oder in den Erzählungen über die Inspirationskraft der *Musen vorgezeichnet sind. Die Beziehung zwischen Schöpfer und Geschöpf folgt dabei einer Dramaturgie der Geschlechter, deren normativer Charakter gerade dort besonders prägnant hervortritt, wo Keller weibliche Figuren in die Position der Autorschaft versetzt. Die Umkehrstruktur macht die Gültigkeit männlicher Autorschaft deutlich. Sie stellt gleichsam die Inszenierung einer verkehrten Welt dar mit dem Ziel, nicht Austauschbarkeit und damit Gleichwertigkeit der Geschlechter in bezug auf die künstlerische Produktion zu illustrieren, sondern vielmehr den Ausschluss der Frau aus der Sprechposition zu sanktionieren. In der Art und Weise, wie Keller die Thematik der Autorschaft gestaltet, geben seine Texte aber zugleich Aufschluss über die Mechanismen der Ausgrenzung, so dass sie in doppelter Weise als Vollzug dieses Vorgangs und als Kommentar lesbar sind.
Die weiblichen Figuren sind bei Keller von der Sprechposition einer männlichen Autorschaft zwar ausgeschlossen, im Ausschluss aber nicht gänzlich zum Verstummen gebracht. Angewiesen auf die Ausdrucksweise der Männer, formulieren sie sich über die Entstellung einer vorgegebenen Sprache, in der sie als andere Stimme blitzhaft aufscheinen. Mit der Ausgestaltung dieser Konstellation verfällt Keller nicht der naiven Fiktion einer authentisch weiblichen Stimme, die sich befreit von sämtlichen kulturgeschichtlichen Vorgaben artikulieren und gleichsam die Wahrheit der Frau zur Sprache bringen könnte. Seine Texte gestalten am Beispiel der weiblichen Stimme vielmehr mit äusserster Konsequenz den problematischen Ort der Frau in einer symbolischen Ordnung, die ihr den Zugang zur *Subjektposition verweigert und sie in dieser Ausgrenzung zugleich für die Aufrechterhaltung ihrer Struktur beansprucht. Die Sprache der Frau wird bei Keller damit nicht zum *utopischen Gegenbild einer anderen Rede, sondern gibt als Rede aus der Position des *Anderen Einblick in die Herrschaftsmechanismen der geltenden Ordnung.

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Ausschnitt aus: Stimme und Schrift. *Geschlechterdifferenz und *Autorschaft bei *Keller.html'>Gottfried Keller
*Amrein Ursula





Das 19. Jahrhundert hatte es sich angewöhnt, Komponisten, Dichter und Künstler als Heroen zu verehren. Ihre Werke wurden in prunkvollen Theatern, Bibliotheken und *Museen gehegt, welche architektonisch den Behausungen von Fürsten angeglichen wurden, während ihre in Bronze gegossenen und in Stein gehauenen Bildnisse auf die hohen Sockel von Denkmälern gehoben wurden. Die enorme Fallhöhe, die aus solcher Idealisierung erwuchs, wurde in einer Reihe von Künstlerromanen und Künstlererzählungen vermessen, die vom Verfehlen des gesteckten Ziels und vom nicht selten katastrophalen Scheitern von Künstlerkarrieren berichten. Die Autoren scheinen lediglich vor der Wahl gestanden zu haben, ihre Künstlerhelden zum Schluss entweder in den Tod zu schicken (so Balzac in Le chef d'oeuvre inconnu, Mörike in Maler Nolten, Zola in L'oeuvre) oder sie dem Künstlerberuf den Rücken kehren zu lassen (nach dem Modell von *Goethes Wilhelm Meister etwa Stifter in Nachkommenschaften). *Keller.html'>Gottfried Keller hat sich in den beiden Fassungen des Grünen Heinrich zuerst für die eine, dann für die andere dieser Schlussvarianten entschieden.
Die Kompromisslosigkeit, welche diese Erzählverläufe bestimmt, steht nun allerdings in einem eklatanten Kontrast zum tatsächlichen literarischen und künstlerischen Markt. Gerade die er-wähnten Theater-, Museums- und Bibliotheksbauten führen vor Augen, welch grosse Zahl von Künstlern ihr Brot mit Dekorationsaufträgen verdienen konnten, mit Werken also, die in einem breiten Grenzbereich zwischen Kunst und Handwerk angesiedelt waren. Gebannt durch die Alternative des alles oder nichts, wird der Eintritt in einen solchen Bereich heruntergestufter Ansprüche von den Künstlererzählungen nur selten in Erwägung gezogen. In Kellers Roman versucht Heinrichs dänischer *Freund Erikson, mit einer bewusst kommerziell ausgerichteten Malerei ein Auskommen zu finden, zögert aber nicht, bei der ersten sich bietenden Gelegenheit vollends zum Kaufmann zu werden.

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Ausschnitt aus: "die sorglos in Holzschuhen tanzende *Muse"
Das Bild des Künstlers und das Genre der *Bildergeschichte: Rodolphe Töpffers Monsieur Pencil und Wilhelm Buschs Maler Klecksel

*Müller Dominik




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Auch Finchers Heldin Marla Singer dient als Korrektiv zum totalisierenden Männerbund, der in Fight Club zelebriert wird. In das ‘wir,’ das sich die jungen Männer in den *Kellerräumen erkämpfen, paßt sie nicht. Deshalb ist ihre Widerrede auch so gefährlich. Indem sie darauf besteht, daß auch sie einen Anspruch darauf hat, die Realität zu definieren, die sie mit ihrem Geliebten teilt, zeigt sie dem Erzähler, daß ein Rückzug auf das universale männliche Subjekt nicht mehr möglich ist. Sie ficht seinen Wunsch, sie gänzlich in seinen Phantasien aufgehen zu lassen, an. Nachdem ihm klar geworden ist, daß er im letzten Jahr zunehmend im Zustand der Verblendung gelebt hat, bittet er sie um Verzeihung. Die wahren Umstände seiner geistigen Umnachtung behält er jedoch für sich. Nur der Ausschluß der Frau läßt ihn an dem ‘wir’ der im fight club zelebrierten männlichen Autonomie weiterhin festhalten. Marla nimmt die Floskel nicht an. Ihre Antwort spiegelt die Hohlheit seiner Entschuldigungsversuche: ‘I’m sorry, you’re sorry, everybody’s sorry.’ Man könnte fast vermuten, David Fincher spielt auf jene Szene in Celebrity an, als Lee seiner Geliebten, am dem Vormittag, an dem sie mit ihren gesamten Möbeln bei ihm einziehen möchte, erklärt, er hätte jemand anderen getroffen. Auch Bonnie ist nicht bereit, die Erklärung zu akzeptieren, er wüsste, er täte ihr unrecht, hoffe aber, weil er so ehrlich ist, es ihr einzugestehen, daß sie sein Versagen verzeihen möge. Sie nimmt dieses Geständnis für was es ist: Ausdruck eines gnadenlosen Egoismus, der deshalb so perfide ist, weil Selbstbeschuldigung eingesetzt wird, um verantwortungsloses Verhalten zu rechtfertigen. Ihn einen Psychoten nennend, fällt sie wie Alice auf die einzige Sprache zurück, der er nicht ausweichen kann, die sprechende Geste. Sie stiehlt ihm das, was ihm wirklich lieb ist - das Manuskript seines Romans - springt auf eine Fähre und verstreut dessen Blätter auf dem Meer.

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Ausschnitt aus: Eurydikes starke Schwestern. Gedanken zur Krise der *Männlichkeit im *Hollywood *Kino der 90ger Jahre
*Bronfen Elisabeth





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