*Robert Walser zwischen der Schweiz und *Berlin
Barbara Schibli
Der folgende Text wurde als Vortrag in Michael Böhlers Seminar "Kulturszene Wien-Berlin 1900: Die Genese der Moderne" in der Sitzung vom 16.6.2000 zum Thema des kulturellen Austausches und Immigrationsbewegungen gehalten:
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"Europa sendet hierher [nach Berlin] seine Menschenexemplare. [...] Die Leute gehen, man weiss nicht wohin, und da kommen sie wieder, und es sind ganz andere Menschen, und man weiss nicht, woher sie kommen." (Jakob von Gunten, 1909) |
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Berlin, die Geheimnisvolle, die Blackbox, die Stadt, die magische und doch alltägliche Veränderungen in ihren Bewohnern vornimmt. Dies mag insbesondere für ihre Immigranten gelten, für welche die Stadt der Inbegriff des Aufeinadertreffens von Eigenem und *Fremdem darstellt.
Fremdes, Neues wird am Eigenen gemessen und damit "ange-eignet", einverleibt. Veränderung ist folglich unumgänglich.
*Robert Walser war in Berlin ein Immigrant auf Zeit. Mehrmals hielt er sich in der Stadt auf, manchmal nur sehr kurz, auch einmal über Jahre. Doch seine Kontakte zu Berlin waren durch ein "In-die-Fremde-aufbrechen" und ein "Nach-Hause-kehren" gekennzeichnet. Ihn jedoch als* Tourist zu bezeichnen, liegt mir fern, zu fest scheint er sich auf das Leben am jeweiligen Aufenthaltsort eingelassen zu haben. Spannend ist, wie sich im Folgenden zeigen wird, dass bei Walser das Zuhause und die Fremde nicht ortsgebunden sind, so auch im Falle der Schweiz und Berlin. Dies mag eine umso stärkere Auseinandersetzung mit dem Fremden und dem Eigenen mit sich gebracht haben.
Für die Zuwanderer aus der Schweiz stellt Berlin nicht nur eine Auslanderfahrung dar, sondern vor allem die Konfrontation mit dem *Metropolendiskurs, den sie nur in der Fremde machen können. Die beiden grossen Schweizer Städte Zürich und Genf stehen nur bedingt im Mittelpunkt des politischen Weltgeschehens, es sind keine wirklichen Indurstrie- und Massenkulturzentren, und sie sind vielleicht einfach schlichtweg zu klein, als dass man auch nur eine von ihnen als "Weltstadt", wie Walser Berlin bezeichnet, wahrnehmen könnte.
Berlin ist die Welt, wer in Berlin besteht, besteht überall.
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"Eine Stadt wie Berlin ist ein ungezogener, frecher, intelligenter Bengel, bejahend, was ihm so passt, und wegwerfend, wessen er überdrüssig geworden." (Berlin und der Künstler, 1910) |
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Berlin entscheidet also über Gedeih und Verderb ihrer Künstler. Berlin ist Herausforderung, Messlatte. Diese Vorstellung, die in vielen Köpfen der kulturell tätigen Ankömmlinge geherrscht haben mag, beschränkte sich aber gerade bei Robert Walser nicht nur auf den beruflichen Erfolg, sondern sie stellte ein alles umfassender Lebenskampf dar.
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Ich setze voraus, dass irgendwo ein redlicher Lebenskampf vorhanden ist, der auf mich wartet, den ich daher aufsuchen muss. Träge Schönheit, lauen weichlichen Sommergenuss, Säumen, Verweilen, Zaudern vermag ich auf die Dauer nicht ertragen; [...]. Ich bilde mir ein, dass Berlin die Stadt sei, die mich entweder stürzen und verderben oder wachsen und gedeihen sehen soll. Eine Stadt, wo der rauhe, böse Lebenskampf regiert, habe ich nötig. Eine solche Stadt wird mir gut tun, wird mich beleben. Eine solche Stadt wird mich begünstigen und zugleich bändigen. Eine solche Stadt wird mir zum Bewusstsein bringen, dass ich vielleicht nicht gänzlich ohne gute Eigenschaften bin. In Berlin werde ich in kürzerer oder längerer Zeit zu meinem wahrhaftigen Vergnügen erfahren, was die Welt von mir will und was meinerseits ich selber von ihr zu wollen habe. (Würzburg, 1915)
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Der Text Würzburg stammt aus dem Jahre 1915 und beschreibt Walsers Besuch in derselben Stadt bei seinem Dichterkollegen Dauthendey, den er um das Geld für die Fahrkarte nach Berlin bittet, wohin er auch gleich aufbricht. 1913 war Walser nach einem siebenjährigen Berlinaufenthalt in die Schweiz zurückgekehrt, er wusste also 1915, was er von Berlin erwarten konnte. Und doch mutet die zitierte Textstelle so an, als sei Berlin Neuland für ihn. Das Verb "einbilden" als Indikator für eine Stadt, derer man nie habhaft wird, der man also auch immer wieder neu begegnen muss? Berlin als Ort, an dem man immer wieder neu, bei Null anfangen kann? Oder "einbilden" als Akt der Fiktion, welche Enttäuschung miteinschliesst: handelt es sich bei den Berlin attestierten Attributen und Fähigkeiten nur um Wunschvorstellungen, welche die Stadt in Tat und Wahrheit gar nicht zu erfüllen mag? Der Konjunktiv als Modus der Begegnung, der sachten Annäherung, die ihn in Zukunft verändern wird? In welcher Art und Weise scheint ihm klar zu sein, sie soll beleben und bändigen zugleich, sie soll die Widersprüche, die im Schriftsteller nebeneinander bestehen also nicht einebnen, sondern ihm ebenfalls widersprüchlich begegnen und ihn auch in diesem Sinne verändern, denn vielleicht liegen ja gerade darin seine "guten Eigenschaften"...
Wenn wir von einer solchen persönlichen und beruflichen Hoffnung auf Veränderung Walsers ausgehen, die durch den Kontakt mit Berlin ausgelöst werden soll, dann müssen wir auch nach dem Spezifischen fragen, das Walser in Berlin sah. Am einfachsten scheint dabei in einem ersten Schritt, die Frage nach der Abgrenzung des Berlinischen vom Schweizerischen. Doch gerade diese Fragestellung offenbart sich im Zusammenhang mit Walser bald als müssig. Denn Walser entflieht hier jeglicher Definition. Will man Walser so einfach als Schweizer bezeichnen, stellt sich irgendetwas, wenn nicht gar er selbst, quer: Walser wird in der Sekundärliteratur als der Fremde, der *Heimatlose par excellence beschrieben. Walser will und kann nicht verortet werden. Walser, der sich leichtfüssig von einer Schweizer Sprache in die andere bewegt (Hochdeutsch, Schweizerdeutsch, Französisch, z.B. im Brief an Frau Mermet):
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"Si vous voudriez avoir la bonté de menvoyer einen bitz Jurachäs für zum Thee, je voudrais être très reconnaissant." (Brief an Frieda Mermet, April 1922, GW XII/2, 203) |
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und diverse Städteerfahrungen in der Schweiz macht (Biel, Bern, Zürich), ist also quasi ein multikultureller Schweizer, der nun auf das multikulturelle Berlin trifft. Die eindimensionale Schweiz gibt es für Walser ebenso wenig wie das eindimensionale Berlin:
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"In Berlin wars weder furchtbar schön noch entsetzlich hässlich, es war berlinisch, ganz einfach." (Brief an Schwester Fanny, Zürich, Juni 1905?, GW XII/2, 38) |
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Berlin lässt sich nicht mehr an gängigen, "äusseren" Skalen messen. Dadurch wird das vermeintlich typische, objektive Merkmal "berlinisch", doch geradezu ein extrem subjektives! Berlin ist schon nicht mehr als fremdes, kategorisierbares Objekt wahrnehmbar, Berlin ist Teil des betrachtenden *Subjektes.
In Walsers Texten über Berlin, insbesondere in Berlin und der Künstler aber auch in Guten Tag, Riesin! kommt vor allem das Charakteristikum Berlins als Metropole in Abgrenzung zur Provinz zum Tragen. Im Bezug auf Walsers Biographie ist die Provinzerfahrung vor allem eine schweizerische, doch das scheint nicht von Bedeutung, diese Einteilungen werden hinfällig.
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"Anderswo, in der stillen Provinz, sieht sich der Künstler leicht von Melancholien umgeben. Verloren in Gedanken, sitzt er am einsamen Fenster, in der mittelalterlichen Stube, umflossen von seltsamem Zwielicht, und träumt untätig in die schwungvolle Landschaft hinaus. Es kommt niemand. Er wird durch nichts gestört. Es herrscht eine unaussprechliche Stille in der Umgebung. In der Hauptstadt dagegen sind immer Störungen vorrätig, gleich einem lebendigen Warenlager von Aufmunterungen, und das ist für unseren Mann natürlich nur wohltuend. Künstlerseelen müssen immer wieder ein wenig aus dem Zauberbann, in dem sie gefesselt liegen, aufgeweckt werden. [...] Ein Künstler ist hier gezwungen aufzuhorchen. Anderswo darf er die Ohren verstopft, in die Ignoranz versinken. Hier darf er das nicht. [...] Berlin ruht nie, und köstlich ist das. Jeder erwachende Morgen bedeutet einen neuen angenehm-unangenehmen Überfall aufs Behagen und das tut ihm gut, dem Bequemlichkeitssinn. Der Künstler besitzt, ungefähr wie das Kind, einen angebornen Hang zur schönen, edlen Faulpelzerei. Nun, in dieses Faulpelzertum, in dieses Königtum, weht immer wieder frischer Ansporn-Sturmwind. Ins stille, feine Wesen fährt das grobe, laute und unfeine. Es verwischt sich da stets etwas, und das ist gut, es ist Berlin, und Berlin ist ausgezeichnet." (Berlin und der Künstler, 1910)
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Berlin steht bei Walser für den Entschluss, Schriftsteller zu werden. Er sehnt sich nach Geschäftigkeit, und schreibt seine drei grossen Romane in Berlin (mit vornehmlich schweizerischen Stoffen), Lyrik und Prosastücke.
Er nähert sich dem Theater ein zweites Mal an, nachdem sein erster Annäherungsversuch als Schauspieler in Stuttgart fehl schlug. Berlin, die Theaterstadt ermöglicht dies. Und Walser verwirklicht seinen Traum nun schriftstellerisch. Es entstehen Dramolette und seine Prosa nimmt beinahe etwas Theaterhaftes an.
Berlin wirkt sich inspirierend, fördernd auf den Künstler aus. Dies sollte sich für Walser sehr bald auszahlen: Beinahe über Nacht ist er jemand in dieser Stadt. Sein Bruder Karl, der sich in der Stadt bereits einen Namen als Bühnenbildner gemacht hatte, führt ihn ins Berliner Salonleben ein, an dem er sich anfänglich auch noch zu ergötzen scheintt. Man scheint ihn dort gern zu haben, vielleicht gerade wegen seiner kauzigen Provinzhaftigkeit.
Walser lebt sich ein. Wenn auch das Eigene nie klar definierbar war, und das Fremde ebenso wenig, so stellt sich mit der Zeit doch ein Auslöschen dieser wenn auch schwammigen Grenze ein, das Fremde existiert gleichzeitig neben dem Eigenen, Kategorien werden hinfällig, man fühlt sich in der Fremde daheim:
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"Sind ungefähr fünf oder sechs Jahre verflossen, so fühlt sich der Künstler, und mag er auch von Bauern abstammen, in der *Grossstadt wie zu Hause. Seine Eltern scheinen hier gelebt und ihn hier zur Welt gebracht zu haben. Verpflichtet, verschuldet und verschwistert fühlt er sich dem sonderbaren Gerassel, Geräusche und Getöse. Das Hasten und Wehen empfindet er wie eine neblige, liebe Muttererscheinung. Er denkt nicht mehr daran, je wieder abzureisen. Mag es ihm gut oder schlecht gehen, mag er verkommen oder emporkommen, gleichviel es "hat" ihn, er ist für immer bezaubert, es ist ihm unmöglich, "dieser grossartigen Ruhelosigkeit Adieu zu sagen." (Berlin und der Künstler, 1910)
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Und doch bricht Walser auf. Bleiben ist für ihn Ruhelosigkeit, Aufbrechen ist Ruhe. Walsers idealer *Raum ist also vielleicht der Zwischenraum zwischen der Schweiz und Berlin. In seinem gesamten Werk sind immer wieder Stellen von kompletter Imersion in einen Zustand, z.B. das Dienersein, beschrieben, die nichts desto trotz noch die Distanz eines reflektierenden Voyeurs haben können. Situationen, durch Unterdrückung gekennzeichnet, sind voll von Freiheit, da die Situation frei gewählt und man vor allem auch wieder aus ihr ausbrechen kann. Darin liegt die Freiheit, die Walser immer wieder *utopisch behandelt. Auch nach Berlin war er aus einer "festen Lebensstellung" (u.a. jener als Bankangestellter in Zürich) ausgebrochen.
Walser kehrt 1913, nach sieben Jahren in die Schweiz zurück. Weil es die Umstände so wollen (seine Gönnerin stirbt). Doch nur deshalb? Wäre es nicht auch möglich, dass er genau wieder die Freiheit in einem absoluten Zustand sucht, wie jenem des Fremdseins...?
Und als er zurückkehrt, ist die Schweiz ihm fremd, vermutlich noch fremder als zuvor.
"Alles, alles ist fremd." (Stadt I)
Das erstaunt ihn wohl kaum, und als beängstigend empfindet er es wohl noch weniger, eher als grosser Gewinn:
"Es lebe also die Fremdheit und nicht die *Befreundetheit, die Unbekanntheit, nicht das Einander-längst-bekannt-Vorkommen."(Bleistiftgebiete III, 71)
Literatur:
-Ammann, Jürg: Robert Walser. Eine literarische Biographie in Texten und *Bildern. 1995
-Gabrisch, Anne: Robert Walser in Berlin. In: Robert Walser. Hg. von Hinz, Klaus-Michael/Horst, Thomas. 1991
-von Matt, Beatrice/Wirth, Michael: Abends um acht. Schweizer Autorinnen und Autoren in Berlin. 1998
-Utz, Peter: "Wärmende Fremde" - zur Einführung. In: Wärmende Fremde. Robert Walser und seine Übersetzer im Gespräch. Hg. von Utz, Peter. 1994
-Utz, Peter: "Eigentümlich, zwiefach, übertragen". Figuren des Femden bei Robert Walser. In: Figuren des Fremden in der Schweizer Literatur. Hg. von Caduff, Corinna. 1997
-Walser, Robert: Bedenkliche Geschichten. Prosa aus der Berliner Zeit, 1906-1912. Hg. Von Greeven, Jochen. 1985
-Walser, Robert: Das Gesamtwerk (GW). Hg. von Greeven, Jochen. 1966-75
-Walser, Robert: Aus dem Bleistiftgebiet. Hg. von Echte, Bernhard/
Morlang, Werner. 1985-90
Die obige Arbeit wird nun im Rahmen einer Seminararbeit vertieft werden.
Genauer analysieren möchte ich Walsers Berlin-Beschreibungen auf die (weiblich, sinnlich-erotische) Anthropomorphisierung hin (z.B. in Guten Tag, Riesin! und Tiergarten) sowie auch die Heimkehrerfahrung in diversen kleinen Prosatexten.
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