"DIE LETZTEN TÖNE DER MARSEILLAISE MÜSSEN VERHALLEN"
Ein kleines Geburtstagsgebinde für Michael *Böhler aus melancholisch getrockneten Heine-Blumen um *Goethes Jupiterhaupt
Klaus Briegleb
Ein politischer Mensch und Kunstliebhaber, der die Widersprüche von seinem Denken nicht fernhalten kann, die zwischen Kunst und Politik sich auftun, findet in Heinrich Heines Worten über Wolfgang Goethe ein Echo seiner Gefühle und einen Kommentar seiner Erfahrungen. Die Worte, an die zu denken wäre, sind über die Schriften des Jüngeren verstreut und haben im Hin und Her der Schreib-Standorte die unterschiedlichsten Farben und Töne angenommen. Im Kern sind sie eines Sinnes: hervorgegangen aus jenen Widersprüchen und beglaubigt von den Schwankungen, denen das ehrliche Schreiben eines "in jeder Hinsicht politischen Schriftstellers", als der Heine sich verstand, ausgesetzt ist. Er war auch und gerade dann der politische, radikale Schriftsteller, wenn er über Goethes Kunst schrieb und darüber vergessen konnte, wie er ihn zu zausen beliebte, wenn einer seiner kleinlichen, kalten, klassenspezifischen Egoismen oder dummen Rückschrittsgedanken zu besprechen war. Diese Seite Goethes 'politisch' hochzuhängen und abgelöst von seiner königlichen poetischen Erscheinung ideologisch zu fixieren, überließ Heine im großen und ganzen den Gesinnungsliteraten der Zeit, zu denen er bis zur Verachtung Distanz hielt. Seine Nöte mit jenen Widesprüchen gingen zu tief und weit, als daß er sie von Parolen der Zeit, denen die Begeisterungsquellen der Künstler fremde Wasser waren, hätte aufsaugen lassen können. Seine Nöte waren die eines Revolutionärs mit einem entsetzlich guten Gedächtnis, das seiner unermeßlichen Begeisterungsfähigkeit, die ihn auf alle Tanzböden revolutionärer Philosophie und Politik hinaustrieb, im Wege war. Es war aber seine elementare Voraussetzung dafür, radikaler Künstler zu sein und darin auch Goethe noch zu übertreffen. Denn dieses Gedächtnis, überfüllt mit den Daten der "Leidensgeschichte der Menschheit", hielt fest an den Ideen der Revolution und wußte daher zur rechten Glaubens-Stunde, daß der mißtönende Tageslärm der Weltgeschichte vergessen sein mußte, um jetzt der Kunst, die auf die Vergangenheit hört und mit ihr nie "tatsächlich gebrochen hat", *Raum und Geltung zu verschaffen. Hier und jetzt dann herrscht allein das poetische Genie wie Goethe es für seine Zeit verkörpert. Über seiner Zeit steht, der diese Herrschaft anerkennt als Künster und Revolutionär. So sieht sich Heine, so kann er dem Olympier huldigen, ohne den Geheimen Rat zu hudeln: "in der Unparteilichkeit Goethescher Künstlerweise auferzogen." Diese Haltung, aus der die folgende kleine Blütenlese stammt und zu verstehen ist, mußte lebenslang vom Autor gegen die politischen Kleingeister der Zeit abgesichert werden. Es standen ihm dafür in der Regel (im übrigen das reichlich ergriffene Mittel des Duells) nur Worte zur Verfügung. Sie sind trockene Prosa und stechen ab gegen die Poesie der Goethe-Huldigungen. "Nicht selten verkennt man die Unparteilichkeit des Dichters so weit, daß man ihn antirevolutionärer Gesinnungen beschuldigt."
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Die meisten glauben mit dem Tode Goethes beginne in Deutschland eine neue literarische Periode, mit ihm sei auch das alte Deutschland zu Grabe gegangen, die aristokratische Zeit der Literatur sei zu Ende, die demokratische beginne. Was mich betrifft, so vermag ich nicht in so bestimmter Weise über die künftigen Evolutionen des deutschen Geistes abzuurteilen.
In den Emeuten gegen Goethe will man sogar mich selbst gesehen haben. Nun Goethe tot ist, bemächtigt sich meiner darob ein wunderbarer Schmerz.
Sein wahres Vaterland ist das Traumreich der Poesie.
Die Natur wollte wissen, wie sie aussieht, und sie erschuf Goethe.
Goethe war der Spinoza der Poesie. Alle Gedichte Goethes sind durchdrungen von demselben Geiste, der uns auch in den Schriften des Spinoza anweht.
Die Lehre des Spinoza hat sich aus der mathematischen Hülle entpuppt und umflattert uns als Goethes Lied. Daher die Wut unserer Orthodoxen und Pietisten gegen das Goethesche Lied. Mit ihren frommen Bärentatzen tappen sie nach diesem Schmetterling, der ihnen beständig entflattert. Das ist so zart ätherisch, so duftig beflügelt. Die harmonischen Verse umschlingen dein Herz wie eine zärtliche *Geliebte; das Wort umarmt dich, während der Gedanke dich küßt.
Die Altgläubigen ärgerten sich, daß in dem Stamme des großen Baumes Goethe keine Nische mit einem Heiligenbildchen befindlich war, ja, daß sogar die nackten Dryaden des Heidentums darin ihr Hexenwesen trieben. Die Neugläubigen, die Bekenner des Liberalismus, ärgerten sich im Gegenteil, daß man diesen Baum nicht zu einem Freiheitsbaum, und am allerwenigsten zu einer Barrikade benutzen konnte. In der Tat, der Baum war zu hoch, man konnte nicht auf seinen Wipfel eine rote Mütze stecken und darunter die Carmagnole tanzen. Das große Publikum aber verehrte diesen Baum eben weil er so selbständig herrlich war, weil er so lieblich die ganze Welt mit seinem Wohlduft erfüllte, weil seine Zweige so prachtvoll bis in den Himmel ragten, so daß es aussah, als seien die Sterne nur die goldnen Früchte des großen Wunderbaums.
Die Übereinstimmung der Persönlichkeit mit dem Genius fand man ganz bei Goethe. Seine äußere Erscheinung war ebenso bedeutsam wie das Wort das in seinen Schriften lebte; auch seine Gestalt war harmonisch, klar, freudig, edel gemessen, und man konnte griechische Kunst an ihm studieren, wie an einer Antike. Dieser würdevolle Leib war nie gekrümmt von christlicher Wurmdemut; die Züge dieses Antlitzes waren nicht verzerrt von christlicher Zerknirschung; diese Augen waren nicht christlich sünderhaft scheu, nicht andächtelnd und himmelnd, nicht flimmernd bewegt: - nein, seine Augen waren ruhig wie die eines Gottes. Letztere Eigenschaft hatten auch die Augen des Napoleon.
Goethes Auge blieb in seinem hohen Alter eben so göttlich wie in seiner Jugend. Die Zeit hat auch sein Haupt zwar mit *Schnee bedecken, aber nicht beugen können. Wahrlich, als ich ihn in Weimar besuchte und ihm gegenüber stand, blickte ich unwillkürlich zur Seite, ob ich nicht auch neben ihm den Adler sähe mit den Blitzen im Schnabel. Ich war nahe dran ihn griechisch anzureden ...
Les dieux s'en vont. Goethe ist tot....
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