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Scream







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So fallen einem bei der *Hollywoodproduktion der 90er Jahre immer wieder Heldinnen auf, deren Funktion darin besteht, die ihnen vorgeschriebene Position innerhalb ihrer Gemeinschaft auszuhandeln, und dabei entweder eine Gegenstimme zum Abgesang einer sinnentleerten *Männlichkeit oder eine ironische Distanz zur Verblendung ihrer Gegenspieler einzunehmen. Wes Craven wählt in seiner dunklen slasher-Komodie *Scream ganz bewußt teenager und college-Studenten als Protagonisten. Als *Jugendliche einer randständigen Klasse zugehörend können sie es sich noch erlauben, verdrängte und verbotene Verhaltensweisen auszukosten. Doch es ist seine von Neve Campbell gespielte Heldin, die jene Umschrift der Realitätsdefinition unternimmt, die ein Prinzip Hoffnung erlaubt. Mit der Tatsache konfrontiert, daß sie ihrer Vergangenheit nicht entkommen kann, schafft sie sich dennoch innerhalb der vorgegebenen Parameter die Freiheit, den Ausgang ihrer Geschichte selbst zu entscheiden. Während ihr *Geliebter, der sich als Mörder ihrer Mutter entpuppt, sie tödlich mit seiner Waffe bedroht, und ihr das von ihm ausgedachte Mordszenario erklärt, antwortet sie: ‘not in my script!’ Sie erkennt zwar, daß sie das Genre der Geschichte, die sie durchspielen muß, nicht ändern kann. Aus dem Horrorszenario kann keine seichte Liebeskomödie werden. Doch weil sie die ihr aufgezwungene Situation auch als script begreift, kann sie ihre Rolle in ihrem Interesse umgestalten. Wes Craven läßt sie ihren Widersacher erschießen und zeigt uns damit einen Ausweg aus einer selbstgefälligen Hilflosigkeit. Die von ihm angebotene *utopische Denkfigur lautet: die Realität wird von den Charakteren selbst postuliert. Als notwendiges gesellschaftliches script kann sie immer auch neu ausgehandelt werden.
Daß gerade die Frau auf der Seite des Gesetzes steht und mit ihrem vernünftigen Blick die verblendeten Halluzinationen ihres Gefährten ins richtige Licht zu rücken sucht, ist nicht neu. Seit der Romantik bevölkern nicht nur Hexen, Huren und Heilige unser Bildrepertoire, sondern auch Aufklärerinnen wie E.T.A. Hoffmans Clara. Ihrem sinnesverwirrten Nathanael, der in dem Wetterglashändler Coppola die Rückkehr des schrecklichen Sandmans aus dem Ammenmärchen wiederzuerkennen glaubt, hält sie entgegen: Die dunkle Macht, von dem er sich ergriffen glaubt, gibt es zwar. Aber es liegt an uns, ob wir ihr nachgeben, und sie somit zur Gestaltung bringen, oder nicht. Nur der Glaube an die feindliche Gewalt kann sie tatsächlich feindlich machen. Seit ihr fungiert die weibliche Geliebte immer wieder als Vexierspiegel und Korrektiv zugleich. Nicht zufällig hatte Frederic Raphael für die Ver*filmung von Schnitzlers Traumnovelle den Titel "The Female Subject” vorgeschlagen. Kubrick hat zwar dieses Angebot seines Drehbuchautors abgelehnt. Dennoch lebt Eyes Wide Shut von der Doppeldeutigkeit des englischen Wortes subject, die in diesem Titel steckt. Die Frage danach, was die Frau für ihren Gatten bedeutet, ist das Thema in einer Geschichte, in der sich Alice auch als weibliches Subjekt gegen die Vorurteile ihres Mannes durchsetzt. Er will die Frau so definieren, daß sie sein Selbstbild bestättigt. Sie widersetzt sich wiederholt dieser Vereinnahmung und beschreibt ihm in *schillernden Farben wie wenig er ihr Begehren kennt. Wiederholt antwortet er auf das Geständnis ihrer ehebrecherischen *Phantasien nicht. Stattdessen läßt er seine Gedanken wandern und sucht verzweifelt auf den nächtlichen Straßen New Yorks nach einem Liebesabenteuer, um sich an Alice zu rächen.
Wie Woody Allens Alterego bekommt auch er den Sex, den er sucht, nicht. Stattdessen findet Alice einen Weg, ihn aus seiner gefährlichen Selbstbezogenheit herauszulocken. Sie legt die Maske, die er als Tarnung bei der geheimen Orgie getragen hat, an seiner Stelle neben sich ins Bett und schläft ein. Sie zeigt ihm die Hohlheit seiner ungebrochenen männlichen Selbstsicherheit und zwingt ihn somit dazu, sie als gleichberechtigte Gesprächspartnerin anzuerkennen. Unter schmerzvollen Tränen gesteht er ihr, was er ihr bislang verheimlicht hat. Erfolgreich hat Alice die Realität ihrer Ehe neu definiert, eine Basis für ein ehrlicheres Zusammensein geschaffen. Auf seine Befürchtung, daß mit dem Zusammenbruch seiner Idealvorstellung der Frau alles verloren gegangen ist, es sei denn, sie könnte ihm versichern, sie sein für immer aufgewacht, antwortet sie mit der Hoffnung, die darin liegt, die Illusion ihrer wiedergewonnenen Identität als solche anzunehmen: Laß uns dankbar sein, daß wir alle erlebten und erträumten Abenteuer überstanden haben und jetzt zumindest aufgewacht sind. Das ist die Stimme Claras. Kubricks Held hört auf sie. Darin liegt seine utopische Geste.
Auch Finchers Heldin Marla Singer dient als Korrektiv zum totalisierenden Männerbund, der in Fight Club zelebriert wird. In das ‘wir,’ das sich die jungen Männer in den *Kellerräumen erkämpfen, paßt sie nicht. Deshalb ist ihre Widerrede auch so gefährlich. Indem sie darauf besteht, daß auch sie einen Anspruch darauf hat, die Realität zu definieren, die sie mit ihrem Geliebten teilt, zeigt sie dem Erzähler, daß ein Rückzug auf das universale männliche Subjekt nicht mehr möglich ist. Sie ficht seinen Wunsch, sie gänzlich in seinen Phantasien aufgehen zu lassen, an. Nachdem ihm klar geworden ist, daß er im letzten Jahr zunehmend im Zustand der Verblendung gelebt hat, bittet er sie um Verzeihung. Die wahren Umstände seiner geistigen Umnachtung behält er jedoch für sich. Nur der Ausschluß der Frau läßt ihn an dem ‘wir’ der im fight club zelebrierten männlichen Autonomie weiterhin festhalten. Marla nimmt die Floskel nicht an. Ihre Antwort spiegelt die Hohlheit seiner Entschuldigungsversuche: ‘I’m sorry, you’re sorry, everybody’s sorry.’ Man könnte fast vermuten, David Fincher spielt auf jene Szene in Celebrity an, als Lee seiner Geliebten, am dem Vormittag, an dem sie mit ihren gesamten Möbeln bei ihm einziehen möchte, erklärt, er hätte jemand anderen getroffen. Auch Bonnie ist nicht bereit, die Erklärung zu akzeptieren, er wüsste, er täte ihr unrecht, hoffe aber, weil er so ehrlich ist, es ihr einzugestehen, daß sie sein Versagen verzeihen möge. Sie nimmt dieses Geständnis für was es ist: Ausdruck eines gnadenlosen Egoismus, der deshalb so perfide ist, weil Selbstbeschuldigung eingesetzt wird, um verantwortungsloses Verhalten zu rechtfertigen. Ihn einen Psychoten nennend, fällt sie wie Alice auf die einzige Sprache zurück, der er nicht ausweichen kann, die sprechende Geste. Sie stiehlt ihm das, was ihm wirklich lieb ist - das Manuskript seines Romans - springt auf eine Fähre und verstreut dessen Blätter auf dem Meer.
Bei Woody Allen werden die betrogenen Frauen zu erfolgreichen Autorinnen und Fernsehstars. Bei Wes Craven sind sie diejenigen, die ethisch handeln und die gültige Version der schrecklichen Ereignisse bestimmen und überliefern, bei Kubrick die hellsichtig analysierenden. David Finchers Marla erfährt am Ende ihrer nächtlichen Abenteuer den Zauber der Liebe. Eines ist ihnen jedoch allen gemein: An ihnen wird eine Realitätsdefinition durchgespielt, die das Versprechen der Utopie erlaubt. Es gibt den glücklichen Zufall, man muss sein Begehren nicht aufgeben, man kann eine fatale Situation zu seinen Gunsten umwenden. Mit diesen Geschichten, die zwar nur Illusionsspiele sind, die uns aber erlauben, mit den unlösbaren Widersprüchen unserer Welt sinnvoll zu leben, läßt sich vielleicht besser ins nächste Jahrtausend gehen, als mit dem Chor der zynischen Männerstimmen, die ihre eigene Auslöschung besingen. Am Ende des 20. Jahrtausends erweist sich die Randständigkeit der Frau als ihre wirkliche ethische Stärke. Sie muß sich dem Abgesang des Mannes nicht einfügen. Sie hatte an diesem todgeweihten Projekt nie Teil.
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Bronfen Elisabeth


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