Zusammenfassung der Studie
Einleitung
Das primäre Interesse der Studie bestand darin, die Veränderungen
der Verflechtung im Politiknetzwerk Telekommunikation in der Schweiz
über einen bestimmten Zeitraum zu untersuchen. Die erhöhte gesellschaftliche
Relevanz von telematischen Diensten (Konvergenz von Informatik
und Telekommunikation), weckten unser Interesse an diesem Politikfeld,
das zudem in der Schweiz bisher noch nie netzwerkanalytisch untersucht
wurde. 1998 steht Europa und der Schweiz die Liberalisierung des
Telekom-Sektors bevor und es ist daher interessant, schon vor
diesem Zeitpunkt die politischen Akteure und ihre politische Verflechtung
zu analysieren.
Fragestellung der Studie
Mittels der Netzwerkanalyse wollten wir untersuchen, inwiefern
sich die Struktur des Politikfeldes Telekommunikation im Jahre
1997 von derjenigen im Jahre 1991 unterscheidet.
Dabei wurden folgende drei Strukturelemente des Netzwerkes untersucht:
- Grösse des Netzwerkes
- Netzwerkkonfiguration (z.B. pluralistisch oder klientelistisch)
- Akteur-Typen (z.B. kommerzielle Akteure, politische Akteure etc.),
deren Prestige und Einfluss (Macht-Reputation) im Netzwerk
Datenerhebung
Für die Abgrenzung des zu untersuchenden Netzwerkes (Bestimmung
der relevanten Akteure) wurden drei Experten telefonisch befragt.
Folgende 21 Akteure konnten durch die Experteninterviews eruiert
werden (*1):
- Bundesamt für Kommunikation (Bakom) [nur im Netzwerk 1997]
- Generaldirektion Telecom PTT
- Eidgenössisches Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement (EVED)
- Eidgenössisches Finanzdepartement (EFD)
- Parlamentarische Kommission
- Wettbewerbskommission (Weko) [nur im Netzwerk 1997]
- Schweiz. Vereinigung von Fernmelde-Benutzern (ASUT)
- Verband Schweiz. Elektro-Installateure (VSEI)
- Schweizerische Vereinigung der Telekommunikation (Pro Telekom)
- Swisscable Verband für Kabelkommunikation
- Handels- und Industrie-Verein (Vorort)
- Cablecom Holding AG
- Newtelco AG [nur im Netzwerk 1997]
- Diax AG [nur im Netzwerk 1997]
- Konsumentinnenforum Schweiz
- Stiftung für Konsumentenschutz
- Aktionsgemeinschaft der ArbeitnehmerInnen und KonsumentInnen (AGAK)
- Gewerkschaft PTT-Union
- Verband Schweizerischer TT-Beamtinnen und -beamter (VSTTB)
- Schweizerischer Verband des christlichen PTT-Personals (Ch-PTT)
- Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für die Berggebiete (SAB)
Für die Datenerhebung wurden je einE RepräsentantIn dieser 21
Akteure schriftlich befragt. Die Rücklaufquote betrug 100%.
Zusammenfassung der Resultate
Durch die Netzwerkanalyse konnte festgestellt werden, dass die
Anzahl Akteure zugenommen hat. Die Netzwerkvergrösserung konnte
nicht nur anhand der selbstdeklarativen Beteiligung bzw. Nichtbeteiligung
der jeweiligen Akteure im Netzwerk 1991 bzw. 1997 festgestellt,
sondern auch netzwerkanalytisch nachgewiesen werden. Sowohl hinsichtlich
des Machtreputationseinflusses wie auch in bezug auf die Kommunikation
wiesen die hinzugekommenen Akteure (Bakom, Wettbewerbskommission,
Newtelco AG und Diax AG) im Netzwerk von 1997 nicht bloss Randposition
auf. Die neu hinzugekommenen Akteure besetzen auf der Rangliste
der Machtreputation die Ränge 2 (Bakom), 7 (Weko), 11 (Newtelco
AG) und 15 (Diax AG). Bei der aktiven Kommunikation sieht das
Ergebnis noch eindrücklicher aus: Drei Viertel der neuen Akteure
besetzten Ränge in der ersten Hälfte des kommunikativen Prestiges.
Im Netzwerk 1991 erreichten nur gerade drei Akteure die Einschätzung,
über «starken» bis «sehr starken» Einfluss verfügt zu haben. Es
sind dies die Telecom PTT, das EVED sowie die parlamentarische
Kommission.
Im Netzwerk von 1997 hat die Macht-Reputations-Einschätzung der
Telecom PTT noch (schwach) zugenommen. Das Bakom hat 1997 knapp
zurückliegend Rang 2 erreicht, noch vor der parlamentarischen
Kommission. Diesen drei Akteuren wird wiederum ein starker bis
sehr starker Einfluss zugeschrieben, wobei dem EVED und dem Vorort
auch noch knapp ein starker Einfluss attestiert wird. Auf Rang
7 hat sich die Wettbewerbsbehörde noch vor den Verbänden und
Gewerkschaften plazieren können.
Der Swisscable und der Cablecom Holding AG, 1991 noch weit abgeschlagen,
werden 1997 ein mässiger Einfluss attestiert, während dem VSEI
und der AGAK 1997 praktisch kein Einfluss mehr zugeschrieben wurde.
Den zwei «Newcomern» (die kommerziellen Akteure Newtelco AG und
die Diax AG) wird eine mässige Macht-Reputation zugewiesen, wobei
Newtelco AG weiter vorn (Rang 11) liegt als die Diax AG (Rang
15).
Die durch die Datenanalyse festgestellte zunehmende Varianz der
Beurteilung der Akteure der Kategorie «Organisationen der öffentlichen
Verwaltung / des öffentlichen Dienstes» und der Aufstieg der Kategorie
«Firma / Unternehmung» weist auf eine Veränderung der Netzwerkkonfiguration
hin. Es stellt sich jedoch die Frage, ob im untersuchten Netzwerk
1991 überhaupt eine klientelistische Struktur vorherrschte. Die
bereits 1991 mässig abgestufte Skala der sogenannten «Actor Information
Centralities» weist darauf hin, dass hinsichtlich der kommunikativen
Aktivitäten 1991 keinesfalls klientelistische Strukturen vorfindbar
waren.
Mittels der sogenannten F-Group Analyse konnte jedoch nachgewiesen
werden, dass im Netzwerk 1991 starke Beziehungen vorhanden waren,
während dies 1997 nicht mehr der Fall war. Zudem konnten nur für
1991 F-Groups eruiert werden; die Zentralität hinsichtlich kommunikativem
Prestige hat abgenommen und es konnten sich neue, bzw. andere
Akteure bessere Positionen verschaffen. Doch fehlte uns nach wie
vor ein deutlicher Hinweis auf Klientelismus, also auf «zwei Akteurskategorien,
die dyadische Kontakte aufrecht erhalten». Zwar existierte 1991
ein mächtiger Akteur (Telecom PTT), der mit Abstand am häufigsten
nach Informationen angefragt wurde. Doch scheint uns der zweite
Teil der Bedingungen einer klientelistischen Struktur nicht gegeben:
Die Akteure kommunizierten nicht einzeln mit der Telecom PTT (strahlenförmige
Beziehungspfeile), sondern auch untereinander (netzförmige Beziehungspfeile).
Letzeres weist eher auf ein «all-channel-network» hin, also bereits
1991 auf eine pluralistische Struktur. Wir haben somit durch unsere
Analyse eine weitere Zunahme des Pluralismus in der Netzwerk-Konfiguration
nachgewiesen, aber kein Wechsel von einer klientelistischen Struktur
hin zu einer pluralistischen.
In einem rein technologischen oder ökonomischen Netzwerk hätte
die Telecom PTT 1991 vermutlich eher als «Patron» eines klientelistischen
Netzes bezeichnet werden können (Zulieferfirmen, Monopol auf Dienstleistungen
und Endgeräte).
Unsere persönliche Interpretation und Ausblick
Mittels der Netzwerkanalyse haben wir also nachweisen können,
dass die Struktur des (informellen) Netzwerkes im Politikfeld
Telekommunikation der Schweiz in einer Phase der Veränderungen
steht. Es kamen neue Akteure hinzu, und die Wichtigkeit der verschiedenen
Akteure hat sich verändert. Dabei verfügt die Telecom PTT nach
wie vor über eine hohe Machtreputation. Als Unternehmen in einem
noch monopolisierten Markt im Dienste der Schweizer Regierung
ist diese Position verständlich. Die Telecom PTT wird jedoch den
Status einer Organisation der öffentlichen Verwaltung bald abgeben
und als rein kommerzielles Unternehmen tätig sein. Wie sich die
Machtverteilung im ökonomischen Netzwerk gestaltet, wird der Wettbewerb
nach der Öffnung des Marktes zeigen. Im politischen Netzwerk sollte
jedoch die Einflusskraft und Wichtigkeit aller kommerzieller Akteure
etwa gleich gross sein, da ansonsten die politischen Voraussetzungen
für einen fairen Wettbewerb nicht gegeben sind. Die ehemaligen
BeamtInnen der Telecom PTT stehen möglicherweise der politischen
Elite informell näher als die UnternehmerInnen von neuen wie traditionellen
Telematikfirmen(*2). Dies spielt in der normativ geführten Rechtsschreibung
des neuen Fernmeldegesetzes zwar keine Rolle, könnte jedoch in
der Realisierung und tatsächlichen Anwendung des neuen Fernmeldegesetzes
Vorteile für die Telecom PTT bringen. Die Wettbewerbskommission
als diejenige Institution, welche einen fairen Wettbewerb gewährleisten
sollte, verfügt heute im politischen Netzwerk über eine mässige
Machtreputation. Wie jedoch die «0842-Affäre»(*3) zwischen der
Telecom PTT bzw. seinem Internet-Provider «blue window» und diversen
kleineren Providern gezeigt hat, bezieht die Wettbewerbsbehörde
durchaus Position. Die tatsächlichen Konsequenzen der Rüge der
Wettbewerbskommission an die Telecom PTT bleiben jedoch noch abzuwarten.
Die «0842-Affäre» hat jedoch gezeigt, dass sich die Telecom PTT
im offenen Internet-Providing Markt unfair verhält und ihren Monopolstatus
im Carrier-Markt ausnützt. Die um vieles kleineren Kontrahenten
wie SwissOnline, EU-Net etc. können sich nur beschränkt mit ökonomischen
Strategien wehren(*4). Nach der vollständigen Öffnung des Marktes
am 1. Januar 1998 (falls dieser Termin von den Telecom PTT nahen
politischen Institutionen nicht nur theoretisch sondern auch faktisch
eingehalten wird) werden jedoch kommerzielle Unternehmen in den
Markt eintreten, die von ihrer Grösse her nicht einfach «unter
den Teppich gewischt» werden können. Vom zukünftigen Wettbewerb
zwischen der Telecom PTT, Newtelco AG und Diax AG werden die Grosskunden
nach Ansichten von Analysten profitieren. Ein Teil der Grosskunden
(kommerzielle Unternehmen) der Telecom PTT werden auf Alternativanbieter
umsteigen, falls unter anderem deren Service- und Preisangebote
besser sind als diejenigen der Telecom PTT. Über die Zukunft der
«NormalverbraucherInnen» können jedoch nur spekulative Aussagen
gemacht werden. Falls die Schweizer KonsumentInnen von den zukünftigen
Wahlmöglichkeiten tatsächlich Gebrauch machen können und wollen,
werden auch sie von einem (inländischen) Wettbewerb profitieren.
Betrachtet man jedoch den heutigen Bekanntheitsgrad der Newtelco
AG und der Diax AG, stellt sich die Frage, ob sich die EndbenutzerInnen
mit den Angeboten von verschiedenen Unternehmen auseinandersetzen
werden oder einfach bei der «guten alten Telecom PTT» bleiben
werden. Die Wettbewerbskommission und die verschiedenen Konsumenten-
und Konsumentinnen-Organisationen müssten deshalb unserer Meinung
nach auf politischem Wege verhindern, dass die Telecom PTT ein
Quasimonopol im deregulierten Markt aufrechterhalten kann.
Die heutige Machtverteilung im politischen Netzwerk der Telekommunikation
wird dies jedoch möglicherweise erschweren, da die Telecom PTT
über viel Einflussmacht auf die politischen Entscheidungsträger
verfügt. Hinzu kommt, dass das Bundesamt für Kommunikation sowie
das Eidgenössische Finanz- und das Energiewirtschaftsdepartement,
die zu den massgeblichen politischen Akteuren zählen, bei politischen
Handlungsentscheiden aus traditioneller Nähe zum ehemaligen Staatsbetrieb
vielleicht nicht immer unparteiisch sind. Die Zukunft wird zeigen,
ob sich der Markt tatsächlich auch für die «kleineren» KundInnen
positiv auswirken wird. Auf jeden Fall werden die neuen Verhältnisse
beim ehemaligen Staatsbetrieb Telecom PTT Umstrukturierungen erzwingen,
gegen welche sich die ArbeitnehmerInnenorganisationen wehren.
Nach unserer Netzwerkanalyse haben diese Organisationen in den
letzten 6 Jahren leicht an Machtreputation verloren. Es dürfte
somit für die ArbeitnehmerInnenorganisationen nur schwer möglich
sein, auf die Reformen Einfluss zu nehmen. Das letzte Wort hat
in der Schweiz jedoch nicht die politische Elite, sondern das
Volk: Die Partei der Arbeit hat inzwischen das Referendum zu den
Reformen im Bereich der Telekommunikation ergriffen. Dass sich
die SchweizerInnen über ökonomische und gesellschaftliche Veränderungen
hinwegsetzen können, haben wir bereits bei der EWR-Abstimmung
im Jahre 1992 erfahren. Neben dem politischen Aussendruck ist
in vorliegendem Fall jedoch vorwiegend der technische Wandel,
d.h. die Konvergenz der Informatik mit der Telkommunikation durch
die Digitalisierung, für den Reformzwang verantwortlich. Wird
dieser technische Wandel vom Schweizer Volk ebenfalls ignoriert,
indem es sich gegen die Reformen im Telekommunikationssektor entscheidet,
so würde die schweizerische (Standort-)Politik nicht nur von unseren
Nachbarländern, sondern auch von der Technik gänzlich überholt.
- Die Analyse des untersuchten Netzwerkes befasste sich «nur» mit
dem zentralen Kern der Akteure im Politikfeld Telekommunikation.
Die befragten Exponenten der Akteure waren vorwiegend Personen
mit überdurchschnittlich hohem politischen, ökonomischen oder
institutionellen Status. Weniger «mächtige» ZeitgenossInnen (z.B.
subalterne MitarbeiterInnen der Telecom PTT) welche ebenfalls
mit dem Politikfeld Telekommunikation im weitesten Sinne verflochten
sind, konnten wegen den begrenzten Ressourcen für die Datenerhebung
nicht berücksichtigt werden. Andererseits sind sicherlich gewisse
grosse Organisationen nicht einbezogen worden, welche in der Realität
vielleicht eine wichtige Rolle spielen. Dabei denken wir an die
grösseren und kleineren Unternehmen (z.B. IBM, Siemens, Ascom
etc.) der Telematik-Industrie (Hard- und Software). Organisationen,
welche im weitesten Sinne im Informationsmarkt tätig sind, dürften
in einer umfassenderen Netzwerk-Studie ebenfalls nicht fehlen.
Dazu gehören beispielsweise die Internet-Provider und «Content-Provider»
(Verlagswesen).
- Ausgenommen sind die kommerziellen Partner der Telecom PTT, welche
ebenfalls von der politischen und ökonomischen Wichtigkeit der
Telecom PTT profitieren.
- In letzter Zeit häuften sich die Beschwerden an die Telecom PTT:
Im Kreuzfeuer der Kritik steht zum Beispiel die Beteiligung der
Telecom PTT an der Cablecom Holding AG sowie der zukünftige Zonenplan
und die dumping-Preise von Bluewindow für das Schweizer Schulnetz.
- Die SwissOnline AG, vormals Videotex-Anbieterin der Telecom PTT,
wurde von der Telecom PTT vor ca. 2-3 Jahren (?) ausgelagert.
Durch die «0842-Affäre» wechselte die SwissOnline AG den Carrier.
Die Telecom PTT verlor einen lukrativen Kunden an die Newtelco AG.
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Letztes Update: 14. März 1998