Die Velobörse ist ein magischer Ort. Man findet dort nicht nur das praktische Stadtvelo oder das Reiserad für die nächste grosse Tour. Nein, an der Velobörse finden sich immer auch ganz spezielle Trouvaillen. Zweiräder mit Ecken und Kanten, die eine ganz eigene Geschichte erzählen und neue Besitzerinnen und Fahrer suchen, die damit weitere Geschichten erzählen.
Einfach geil
So eine Trouvaille habe ich kürzlich entdeckt, eine wahre Hassliebe. Mein Velohändler des Vertrauens, dem ich das Teil gezeigt habe, sagt liebevoll, das Rennvelo sei komplett aus der Zeit gefallen, obschon es noch gar nicht so alt ist. Ein Siebenkilo Vollkarbon-Rennrad, dessen Neupreis vor fünf Jahren locker 15 Mal höher war als das, was ich dafür insgesamt ausgegeben habe. Es ist ein Gümmelerteil, das eigentlich alles hat, was ein Top-Rennrad braucht: edelste Komponenten wie Dura-Ace-Schaltungen und Bremsen, Rotor-Kurbeln und einen Karbonsattel ohne Polster. Und doch ist es eben anders als heutige Luxus-Rennvelos. Es hat nämlich noch Felgenbremsen und das auf Karbon-Felgen. «In ein paar Jahren wird man nur noch die Augen verdrehen, dass sowas jemals gebaut wurde. Diese Kombi wird extrem heiss. Aber gut, du bist ja ein Leichtgewicht…» Das sagte mir eine Gümmeler-Expertin, als ich an dem Teil rumschraubte…
Sehr geil
Zwei Tage habe ich daran gearbeitet, es für meine Bedürfnisse zu richten. Und dabei habe ich enorm viel gelernt. Zum Beispiel, dass Felgenbremsklötze eine fiese Blindschraube haben können, und wenn die auch nur minimal die eine Karbon-Felge streift, muss man die Bremsklötze sofort auswechseln. Worte wie «Karbon-Paste», «Drehmoment» und ganz viel weitere Luxus-Begriffe von der sportlichen Veloszene habe ich jetzt auch im Wortschatz.
Szene-Sprache: Leider geil
Doch der Kaufgrund war vor allem das Design. Es ist klassisch, schnörkellos, ganz im Gegensatz zu den heutigen Gümmeler-Velos, die mit ihrem Aero-Design auf mich sehr, sehr hässlich wirken.
Aero Renner: Ungeil!
Ein so spezielles Velo braucht natürlich auch einen richtigen Namen. Ich habe mir lange den Kopf zerbrochen. Zuerst dachte ich an «Negritta Veloce» oder «La Pantera». Aber meine KI, die ich gerade nutze, war der Meinung, dass solche Namen, so sehr sie die Eleganz und Geschwindigkeit ausdrücken, auch beleidigend wirken könnten. Das wollte ich auf keinen Fall. Also habe ich weiter überlegt und bin schliesslich bei «Freccia Nera die Faccia Crema» gelandet. Der Name bedeutet übersetzt «schwarzer Pfeil mit cremefarbener Front» und passt perfekt zu dem schwarzen Rahmen und den speziellen, hellen Pneus.
Ehrensache
In einem angepassten Text zu dieser Affäre, der aus stilistischen Gründen in der Ichform auf Papier veröffentlicht wird, der aber nicht von meiner Feder stammt, da wird der Eindruck erweckt, ich hätte – zum Missfallen meiner Verlobten – die Freccia Nera als Ausstellungsobjekt im Esszimmer der gemeinsamen Wohnung platziert. Das trifft nicht zu: Das Ausstellen von Velos ist vielmehr ein gemeinsames Anliegen, das genauso von meiner Verlobten kultiviert wird. Wir wechseln die Exponate regelmässig aus. Im Bild unten wird gerade der Brigio di Blublu Grandegrande un Bougie di Faccia Crema präsentiert. Zudem wird in diesem Printtext suggeriert, die Freccia Nera habe als Ausnahme einen Namen erhalten. Auch das ist unzutreffend: Jedes meiner Velos trägt einen Namen – so wie das abgebildete Brompton aus dem Jahr 2006, eben der Brigio di Blublu Grandegrande un Bougie di Faccia Crema, wobei «Bougie» der Zu-Name für alle Bromptons in unserem Umfeld ist. Es gibt da auch ein «Rouge qui Bouge un Bougie!»
Kleine Klarstellung
So sehr ich dieses Velo liebe, es ist ganz klar eine Hassliebe. Denn ich ertrage das Gümmelen und die Gümmeler-Frauen und -Männer ganz und gar nicht. Es ist eine Welt von Luxusboliden, die in meinen Augen heute gar keine Velos mehr sind. Die Velolobby sollte diese Sorte Velos und die Reitenden von diesen Teilern unbedingt nicht mehr vertreten! Gäbe es im Motorsport so viele Tote wie beim Gümmelen, würde dieser Sport wohl viel heftiger reguliert. Aber die Rennvelofahrenden werden von allen politischen Strömungen mit Samthandschuhen angefasst.
Gar nicht geil
Hassliebe ist es auch, weil ich mehr und mehr digitalfreie Zeit geniessen will, aber gleichzeitig total fasziniert bin von der Technologie der elektronischen Schaltungen und den Möglichkeiten, die diese bieten. Ich fühle mich auf einem Cyborg-Gerät, wenn mein Velocomputer ankündigt, dass die Schaltung beim nächsten Schalten der Kassette hinten den Umwerfer vorne automatisch betätigen wird und auf der Kassette hinten die Kette paar Gänge in die Gegenrichtung führen wird. Leider Geil!
Gadgets: Leider geil
An dieser Stelle muss ich festhalten, dass ich dieses schmucke Karbon-Teil vor allem dank vielen Gesprächen mit KI wieder fit machen konnte. Ich habe gelernt, wie wichtig ein präziser Drehmomentschlüssel ist, um die empfindlichen Carbon-Komponenten nicht zu beschädigen. Und dank diesen Gesprächen weiss ich auch, wann ich Carbon-Montagepaste verwenden muss und wann normales Fett völlig falsch wäre.
KI: Leider geil
Und schliesslich ist es auch der Sattel, der mir bei dieser Hassliebe hilft: Er ist aus Vollkarbon ohne Polster und zwingt mich bei den ein bis maximal drei Gümmeler-Ausfahrten pro Jahr, krass sauber ohne Gewicht auf dem Damm zu fahren. Das ist zwingend, um die Sollbruchstelle Harnröhre zu schonen und zu verhindern, dass ich Blut pinkeln werde. Gar nicht geil!
Leider ungeil
Von klug bis zu den saudummen Gümmeler-Rennvelos, sorry Freccia Nera!
| Rang | Velotyp | IQ & Eigenschaften |
|---|---|---|
| 1 | Gravelbike mit Tailfinn | Der MacGyver der Räder: Überlebt Apokalypsen, trinkt Kaffee während es Schotterpisten analysiert. IQ: 150 («Ich spreche fliessend Wanderer-Smalltalk.») |
| 2 | Tourenvelo mit Schutzblech | Der Schweizer Taschenmesser-Radler: Immer mit Regencape, Werkzeug und Thermoskanne. IQ: 135 («Ich bin die Voraussicht.») |
| 3 | MTB Fully | Der Adrenalin-Chirurg: Lacht über Wurzeln, weint nur bei zu glattem Asphalt. IQ: 130 («Ich federe deine Lebenskrisen weg.») |
| 4 | Brompton Klapprad | Der Stadt-Ninja: Passt in Handtaschen, fliegt Business Class. IQ: 125 («Ich bin entfaltet – mein Lebenslauf auch.») |
| 5 | MTB Hardtail | Der stoische Überlebenskünstler: Braucht keine Federung – ist selbst aus Granit. IQ: 110 («Schmerz? Nie gehört.») |
| 6 | BMX | Der 14-jährige Rebell: Kann Backflips, aber nicht sagen, wo er nächste Woche schläft. IQ: 75 («Schule? Nee, ich spring lieber über Mülltonnen.») |
| 7 | Stadtvelo mit Korb | Der hipsterige Barista: Transportiert Avocado-Toasts und Poetry-Slams. IQ: 90 («Ich inszeniere mein Leben – langsam.») |
| 8 | Strassenrennvelo | Der hysterische Diva-Karbongaul: 0,0001 mm Kies = Systemabsturz. Weigert sich bei Nässe zu fahren («Mein Lack!»). IQ: 40 («Ich bin für eine Sache gebaut: perfekten Asphalt.») |
Es ist eine Hassliebe, auf die ich gerne eingehe. Und die mir zeigt, dass man auch mit einem aus der Zeit gefallenen Velo eine ganz besondere Liebesgeschichte erleben kann. Eine, die nicht ganz einfach ist, aber umso schöner.
Freccia Nera di Faccia Crema!
Dieses Fahrrad stand im Frühling 2025 in Winterthur auf der Velobörse von Pro Velo Zürich zum Verkauf. Leider wurde es nicht gekauft, aber für mich war das «leider geil», denn der Verkäufer hatte die Option gewählt, es bei Nichtverkauf einer gemeinnützigen Organisation zu spenden. Dabei ist es in der Regel so, dass Velos, die in einem guten Zustand sind, eine zweite Chance von Pro Velo erhalten. Meist mit einer Preisanpassung nach unten. Werden sie dann verkauft fliesst, der Erlös in die Kampfkasse von Pro Velo. Der Verein vertritt die Interessen der Velofahrenden im Kanton Zürich uns setzt sich unter anderem für eine bessere Veloinfrastruktur ein. Velos, die an der Börse wiederholt keinen Käufer finden, gehen an Veloafrica oder ähnliche Organisationen.
Ich schaute mir das Velo an und liess es auch von einem Fachmann begutachten. Dieser gab grünes Licht, also kaufte ich das Velo von Pro Velo ab. Beim Aufbereiten entdeckte ich jedoch einen kleinen Riss, den der Fachmann übersehen hatte. Der Fachmann riet mir daraufhin vom Kauf ab. Andere Fachleute widersprachen ihm jedoch und meinten, der Riss sei unbedenklich. Zudem hatte mir der ursprüngliche Fachmann einen falschen Vorbau verkauft. 35 Millimeter war der korrekte Lenkerumfang, nicht 32.5. Ich wollte auch andere Pneus, die Weisswand-Pneus. Es war eine Odyssee. Zuerst wollte ich es doch nicht kaufen, dann wieder doch. Ich dachte, ich müsste es zurückgeben, aber schliesslich habe ich es doch behalten. Ein Velo-Kauf mit vielen Learnings – Leider geil!
Dieser Beitrag, inklusive Text und Gestaltung, wurde mithilfe heute gängiger technischer Hilfsmittel erstellt. Autor/Fotos: Marc Böhler.